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Archiv-Artikel

Die Zeit der Wahrheit

Die Frau um 50: Manche sagen, die Leidenschaft nimmt ab. Wir würden das anders sehen: Das Gestrüpp der Illusionen wird gelichtet. Wir haben uns mit uns selbst abgefunden. Im noch besseren Fall sogar angefreundet

VON INGKE BRODERSEN UND RENÉE ZUCKER

Eigentlich kommt das Alter sehr dezent. Irgendwann, wenn wir noch gar nicht mit ihm gerechnet haben, tappt es einfach auf leisen Sohlen heran. Ein weißes Haar, leichtes Ziehen im Arm, Stechen im Fuß, tagsüber eine Müdigkeit und plötzliches Erwachen in der Nacht – alles ohne ersichtlichen Grund. Das ist aber fast schon die ganze Geschichte. Denn ansonsten bleibt man bei allen kleinen und großen Veränderungen auch im Älterwerden die, die man ist. Daran wird sich auch bis zum Ende nichts mehr ändern. Im Gegenteil, man wird immer „selbiger“.

Mir gefällt besonders gut am Älterwerden, dass es mich auf Normalmaß zurechtstutzt. Zwar ist Hochmut immer unangenehm und fragwürdig, aber im Alter ist er einfach nur noch lächerlich. Das Alter ist eher die Echtzeit für Snobismus. Vieles, wonach es einen früher verlangte, ist nicht mehr so wichtig. Noch nicht einmal die Demonstration, dass es einem nicht mehr so wichtig ist. Weder brauchen wir das Wissen darüber, wie in dieser Saison Manolo Blahniks aussehen, noch bedürfen wir der Anerkennung durch andere.

Selbstwertgefühle, die man bis jetzt nicht errungen hat, werden uns definitiv nicht mehr hinterhergetragen. Möglicherweise zweifelt man noch genauso an sich selbst wie früher, kann sich genauso schlecht entscheiden, ist immer noch eitel, besserwisserisch, herrisch, was auch immer – aber es quält uns nicht mehr so. Wir haben uns mit uns selbst abgefunden. Im noch besseren Fall haben wir uns sogar mit uns selbst angefreundet.

Dieser kalte oder warme Frieden zwischen ich und ich kann verschiedene Auswirkungen haben. Die einen beschreiben eine Art Rückgang der Gefühle. Ein Desinteresse an Vorgängen oder Dingen, die sie früher in irgendeiner Weise erregt haben. Empörung, Staunen, Freude, Aufregung, Angst – all das scheint jetzt einer gleichmütigeren Beobachtung gewichen. Man ärgert sich nicht mehr so schnell über irgendwas oder irgendwen, ist aber auch nicht mehr so schnell fasziniert.

Andere quält die berechtigte Sorge, ihre unangenehmen Eigenschaften würden sich im Alter verstärken. Das ist sicherlich auch der Fall. Aber dass es umgekehrt auch mit den angenehmen eigenen Eigenschaften so sein kann, ist doch sehr tröstlich. Und wenn wir es bis hierher mit all unseren Macken und Fehlern geschafft haben, dann gucken wir einfach für den Rest des Weges gnädig weg.

Die Biopsychologie, eine relativ junge Wissenschaft, die zu erforschen versucht, wie komplexe psychologische Phänomene durch biologische Voraussetzungen hervorgerufen werden, aber auch umgekehrt: wie psychologische Vorgänge biologische Funktionen und Strukturen beeinflussen können – die Biopsychologie spricht von einem Kraftfeld, das durch biologische Tatsachen geschaffen wird. Diesem Kraftfeld kann man sich entweder ergeben, oder man schafft sich ein komplett anderes. Das ist ja das Schöne am Leben. So, wie es die Erleuchtung nicht kümmert, wie man sie erlangt, kann es auch mit den Realitäten sein: Wir kreieren uns mit unseren Gefühlen, Gedanken und unserem Tun die Wirklichkeiten, die wir brauchen, wollen und leben können.

Ein Biopsychologe erzählte als Beispiel für das Schaffen neuer Realitäten, dass Männer ihr Testosteronhaushaltsdefizit durch regelmäßige Teilnahme an einem Fußballspiel wieder ausgleichen. Als Zuschauer wohlgemerkt. Frauen hingegen brauchen gleich einen ganzen neuen Liebhaber mit allem Drum und Dran, um wieder an ein bisschen Östrogen ranzukommen. Sagt der Biopsychologe. Irgendwie hätten Frauen es wirklich nicht einfach, räumte er ein. Im Beruf müssten sie mit Männern konkurrieren, gleichzeitig aber auch noch sämtliche weiblichen Attribute (wegen der Fortpflanzung) behalten. Das sei wirklich eine Quadratur des Kreises. Pech für Frauen eben. Dass die erfahrene Frau mindestens so sexy sein kann wie der erfahrene Mann, mochte sich der Biopsychologe beim besten Willen nicht vorstellen.

Gut, dass auch in der Wissenschaft das schlichte Gemüt sofort erkennbar ist. Und gut, dass der Neuropsychologe da eine ganz andere Meinung vertritt. Dass Männer eventuell auf den Rängen im Fußballstadion ein bisschen Testosteron gewinnen, könne ja sein, räumt er ein, aber interessant wäre doch mal eine Untersuchung von Männern und Frauen im Rockkonzert. Oder in der Oper? Nein, da vielleicht nicht, da sind ja die meisten Männer schwul, und was die dazugewinnen, ist für uns nicht interessant.

Interessant hingegen war wiederum die Einschätzung des Biopsychologen, dass die Frau ab fünfzig von der Scheidung profitiert. Er meinte das vermutlich weniger pekuniär als biopsychologisch: Da Frauen grundsätzlich ein größeres soziales Netzwerk hätten, stünden sie im Gegensatz zum Mann bei einer Scheidung nicht allein da. Je nun – sich dafür scheiden zu lassen ist vielleicht doch kein ausreichender Grund.

Nach den nun aus vielerlei Gründen interessanten Gesprächen mit Bio- und Neuropsychologen bleibt festzuhalten, dass uns mit unseren fünfzig Jahren die Psychologie nicht mehr allzu viel an Wissen und Erfahrung voraushat. Und dass wir so älter werden, wie wir jung waren – und dass wir vielleicht dementsprechend auch so sterben, wie wir gelebt haben. Ständiges Über-Grenzen-Gehen ist gerade dafür sicherlich eine gute Übung. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

INGKE BRODERSEN und RENÉE ZUCKER, Jahrgang 1950 und 1954, sind freie Publizistinnen und entschlossen, erfolgreich zu altern. Der Text dieser Seite stammt aus ihrem Buch „Werden Sie wesentlich. Die Frau um 50“, das gerade bei Piper erschienen ist. München, 2007. 220 Seiten, 16,90 Euro.