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Archiv-Artikel

Vom Archiv ins Theater

NATIONALSOZIALISMUS Der Heimathafen Neukölln arbeitet seine Nazi-Vergangenheit auf. Die Räume wurden damals als Lager für Möbel deportierter jüdischer Mitbürger genutzt. Stefanie Aehnelt und Nicole Oder über das Theaterstück, das darüber entstehen soll

Möbellager im Heimathafen

■ Im Zuge einer neuen Theaterproduktion arbeiten Stefanie Aehnelt und Nicole Oder die Vergangenheit des heutigen Heimathafens Neukölln auf. Im ehemaligen Saalbau in der Karl-Marx-Straße 141 deportierten die Nationalsozialisten während der NS-Zeit Möbel und Hausrat enteigneter und deportierter Juden.

■ Durch eigene Recherchearbeit wollen sie herausfinden, wer die Opfer waren, deren Möbel an ihrem heutigen Arbeitsplatz lagerten.

■ Im September 2015 soll das Theaterstück darüber auf die Bühne kommen.

■ Im Heimathafen Neukölln finden seit 2009 Theater, Konzerte und Lesungen statt.

INTERVIEW SOPHIE KRAUSE

taz: Frau Oder, Frau Aehnelt, als künstlerische Leiterinnen des Heimathafens setzten Sie sich mit der Geschichte des Gebäudes während der NS-Zeit auseinander und wollen daraus ein Theaterstück machen. Warum?Stefanie Aehnelt: Wir wissen aus Büchern und Akten der damaligen Vermögensverwaltungsbehörden, dass im Saalbau des heutigen Heimathafens Möbel und Hausrat von enteigneten jüdischen Neuköllnern, die deportiert wurden, gelagert wurden. Im Moment sind wir auf der Suche nach den Personen und nach dem Verbleib der Gegenstände.Nicole Oder: Das betrifft nicht nur den Saalbau. Auch die Neuköllner Oper, die Gebäude der benachbarten Passage, die Kinosäle waren Möbellager.

Kennen Sie den genauen Zeitraum der Möbeleinlagerungen?Aehnelt: Noch nicht genau. Es wird vermutet, dass das nur in der früheren Zeit der Deportationen stattfand, um 1942. Momentan sind wir dabei,die Akten der Deportierten einzusehen. Leider gibt es viele Akten nicht mehr.

Sind Sie auf Personen gestoßen, deren Möbel hier lagerten?

Aehnelt: Ja, bis jetzt neun. Aber die Recherche im Archiv in Potsdam ist relativ langwierig. Wir finden dort immer wieder ein paar neue Namen und können dann mehr über die Menschen herausfinden. Das ist auch ein Wunsch, den wir mit diesem Interview verbinden. Wir wollen fragen: Wer kennt jemanden, der in Neukölln zu der Zeit gelebt hat und uns darüber etwas erzählen kann?

Wie sieht Ihr Konzept für das Theaterstück aus?

Oder: Es ist noch ziemlich offen. Wir stellen uns die Frage: Wie kann man sich erinnern? Wir wollen auch die Geschichten unserer eigenen Familien verfolgen. Und ich finde es ganz gut, dass man mit dem Thema nicht so zielgerichtet umgeht. Wir wissen noch gar nicht, wie diese Erinnerung aussieht und welches Material wir finden. Es soll keine Geschichtsstunde werden. Was hat es heute mit uns zu tun – diese Frage ist entscheidend dafür, wie wir es umsetzen wollen.

Das obliegt dann Ihrer künstlerischen Freiheit, das zu interpretieren?

Oder: Das glaube ich eher nicht. Ich sehe das nicht doku-fiktional. Aehnelt: Wir werden sicherlich nicht aus einer Akte allein das Schicksal eines Menschen kreieren. Entweder finden wir mehr in anderen Archiven oder wir ergänzen vergleichbare Biografien, sodass man Rückschlüsse ziehen kann. Wir werden keine Biografien erfinden. Aber wenn wir Zeitzeugen finden, die von einem Menschen berichten, das wäre Gold wert.

Die Theatermacherinnen

■ Stephanie Aehnelt, 44 Jahre alt, ist Teil der künstlerischen Leitung und Geschäftsführerin im Heimathafen Neukölln. Sie ist Wahlneuköllnerin seit 2008, geboren in Hamburg, hat Theaterwissenschaft in Berlin studiert und ist Mitgründerin des Heimathafens Neukölln.

■ Nicole Oder, 36 Jahre alt, ist ebenfalls Teil der künstlerischen Leitung im Heimathafen Neukölln, hat Politikwissenschaft studiert, ist Wahlneuköllnerin seit 12 Jahren und geborene Fränkin.

Fotos: privat

Wann wollen sie auf die Bühne gehen?

Aehnelt: Im September 2015. Das steht schon fest.

Was macht Sie so sicher, dass sie bis dahin genug Material haben und das Stück fertig bekommen?

Aehnelt: Man wird bei diesem Thema nie genug und für einen Theaterabend doch immer zu viel finden. Die Qualität der Inszenierung hängt nicht von der Menge des gefundenen Materials ab, sondern von dessen Verarbeitung und Kontextualisierung in der Gegenwart. Deshalb brauchen wir mutige Menschen, die mit uns auf die Suche gehen und bereit sind, sich auf einer persönlichen Ebene einzulassen und zu zeigen.

■ Rückfragen und Hinweise an theater@heimathafen-neukoelln.de