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Archiv-Artikel

Die Autorin bleibt autark

JUBILÄUM Seit 25 Jahren besteht die Textschmiede „Forum Hamburger Autoren und Autorinnen“ – eine Gruppe, die sich zur Textkritik trifft. Gefeiert wird im Hamburger Literaturhaus mit einer Lesung

„Es gab schon Phasen, da saßen wir nur zu dritt und niemand hatte einen Text mit“

SASCHA SAJUNTZ, FORUMSGRÜNDER

Ein Stapel Papier liegt vor jedem und jeder. Zehn Seiten Text, Zeilenabstand anderthalb, linksbündig gesetzt, „Datteln als Mekka“ heißt die Geschichte, die die Schriftstellerin Tanja Schwarz in den kommenden knapp 20 Minuten vorstellen und dazu vorlesen wird.

Erzählt wird von einer Frau, die Deutsch für ausländische Frauen unterrichtet. Sie steht vor ihrer Gruppe, müht sich ab, den Dativ zu erklären, und zwischendurch fällt ihr immer wieder ein, dass ihr Freund sie gerade verlassen hat, dass ihr privates Leben in Scherben liegt – und währenddessen zweifelt sie ebenso daran, ob das, was sie an diesem Vormittag ihren erwachsenen Schülerinnen bietet, diesen in irgendeiner Weise helfen wird, eines Tages Deutsch sprechen und auch schreiben zu können.

Schwarz liest den Text sehr konzentriert, sehr nachdrücklich. Manchmal legt sie kurz die Stirn in Falten, unterbricht sich, zückt den Stift, murmelt: „Das ist ’ne Wiederholung, das habe ich ja schon erzählt“, streicht dann einen Halbsatz durch, nimmt den Faden wieder auf und liest weiter, den Stift in der Hand. Liest bis zum Schluss, der noch keiner ist, das hatte sie vorher gesagt, als zu Beginn des Abends gefragt wurde: Wer will? Wer hat was mitgebracht? Nämlich: „Ich, gerne, aber ich habe noch keinen Schluss.“ Nun schaut sie in die Runde, nun sind die anderen dran. Mit Kommentaren, Eindrücken und Einschätzungen und Fragen und Vorschlägen – mit Textkritik.

Seit 25 Jahren gibt es das Forum Hamburger Autoren und Autorinnen. Derzeit treffen sich die aktuell 19 Mitglieder jeden zweiten und vierten Mittwoch im Monat im Kulturhaus Eppendorf. Wer Zeit hat, kommt; wer keine Zeit hat, entsprechend nicht. „Es gab schon Phasen, da haben wir uns nur einmal im Monat getroffen, saßen zu dritt und niemand hatte einen Text mit“, erzählt Sascha Sajuntz, der das Forum einst gründete. Von diesen trüben Zeiten, die es immer mal wieder durchzuhalten gelte, seien sie derzeit zum Glück weit entfernt. Heute sind sie in der Regel acht bis zehn Autoren und Autorinnen wie Schwarz, die seit gut anderthalb Jahren dabei ist.

Und wie Sigrid Behrens, jüngst mit dem Hamburger Förderpreis für Literatur ausgezeichnet, wie Silke Stamm oder Myriam Keil. „Derzeit ist Karen Köhler unser Star“, sagt Sajuntz, der selbst kaum noch etwas Literarisches schreibt, der stattdessen als Jurist für ein großes Magazin eingespannt ist und der zugleich nicht auf die Idee kommen würde, deshalb das Forum zu verlassen. Und dann ist da noch die Liste Ehemaliger, die der Literaturfan kennt: Mirko Bonné und Matthias Göritz, Andreas Münzner und nicht zu vergessen Nils Mohl, der seinen Job in einer Werbeagentur kündigen konnte, als ihm ein bedeutender Jugendliteraturpreis den Weg in die literarische Selbstständigkeit ebnete. So könnte es gehen, aber so geht es eben nicht immer.

Es geht oft auch so: Man muss Geld verdienen, bekommt Kinder, gründet eine Familie, das Schreiben rückt nach und nach in den Hintergrund – und bleibt doch immer wichtig und erst recht kostbar. „Erst wenn jemand sich anderthalb Jahre nicht blicken lässt, sich nicht meldet, auch keinen Beitrag für unsere Jahrbücher abliefert, fragen wir nach, ob eine Mitgliedschaft eigentlich noch sinnvoll ist“, sagt Sajuntz.

Und Schwarz? Was macht sie nun mit dem Echo, das sie im Detail und im Gesamten zu ihrem Text, zu einzelnen Passagen, aber auch zu einzelnen Sätzen bekommen hat? Sie sagt: „Ich werde jetzt möglichst schnell über die Einwände, die gekommen sind, nachdenken.“ Sie sagt: „Ich kann nun auf alles eingehen, dann sind alle zufrieden – aber ist es dann noch der Text?“ Sie sagt: „Über manche werde ich mich hinwegsetzen, über anderes nicht; über anderes muss ich mir noch klar werden.“ Schließlich böte der Forumsabend nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine Reibungsfläche, einen Chor an dissonanten Stimmen – und schon deshalb nicht die eine reine Wahrheit.

Und ihre Kollegin Silke Stamm springt ihr bei und sagt: „Zum Glück bleibt Tanja wie wir alle als Autorin autark. Und von uns will niemand recht behalten.“  FRANK KEIL

Jubiläumslesung: 19.30 Uhr, Literaturhaus Hamburg; Frisch erschienen ist das 23. Jahrbuch 2014/2015 „Aufgeräumt“: Textem Verlag, 320 Seiten, 15 Euro