: Der Grenzfluss, der verbinden soll
NACHBARN Seit 2006 existiert die Oder-Partnerschaft zwischen den östlichen Bundesländern und den westlichen Woiwodschaften Polens. Nach Rückschlägen beim Thema Bahnverbindungen geht es nun um Alltagsthemen. Michael Müller wird in Breslau dabei sein
■ Oder-Partnerschaft: Auf einer Auftaktkonferenz wurde 2006 die Oder-Partnerschaft ins Leben gerufen. In diesem informellen Bündnis kooperieren die vier ostdeutschen Bundesländer Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen mit den drei ostpolnischen Woiwodschaften Niederschlesien, Lebuser Land und Westpommern. Themen sind Wirtschaft, Tourismus und Verkehr, aber auch Bildung und Sprache. Das nächste Spitzentreffen findet am 4. und 5. März in Breslau statt.
■ Euroregionen: An der deutsch-polnischen Grenze gibt es vier Euroregionen: Pomerania, Pro Europa Viadrina, Spree-Neiße-Bober und Neiße. Mitglieder der Euroregionen sind die Städte, Gemeinden und Landkreise. Über die vier Regionen werden auch zahlreiche Interreg-Projekte sowie andere grenzüberschreitende Projekte abgewickelt und gefördert.
■ Gemeinsame Landesplanung: Die Gemeinsame Landesplanung Berlin-Brandenburg (GL) mit Sitz in Potsdam kümmert sich nicht nur um die Raumplanung in der Metropolregion Berlin-Brandenburg oder um die Landesentwicklungsplanung, sondern auch um die grenzüberschreitende Metropolregion Stettin. (wera)
VON UWE RADA
Michael Müllers Anreise nach Breslau dürfte nicht einfach werden. Schon im Dezember wurde die Intercity-Verbindung zwischen Berlin und der polnischen Odermetropole gekappt. Und nun, wenige Tage vor dem Beginn des deutsch-polnischen Spitzentreffens in Breslau, kam die nächste Hiobsbotschaft: Wegen finanzieller Probleme wird auch der Regionalexpress von Dresden nach Breslau eingestellt. Ein Umsteigen in Dresden ist dann auch nicht mehr möglich. Kein Wunder, dass die Senatskanzlei den Regierenden Bürgermeister und die übrigen Berliner Teilnehmer in einem Schreiben zur Umweltverschmutzung aufruft: „Derzeit ist die Anreise mit dem Pkw die schnellste Variante.“
Dass Michael Müller an dem zweitägigen sogenannten Spitzentreffen am 4. und 5. März in Breslau teilnimmt, kann man durchaus als Aufwertung der Oder-Partnerschaft deuten. Sein Vorgänger Klaus Wowereit hat die Treffen der beteiligten Regierungschefs und Marschälle regelmäßig geschwänzt. Das sorgte nicht nur bei den an der Oder-Partnerschaft beteiligten Bundesländern Brandenburg, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern für Verstimmung, sondern auch in den polnischen Woiwodschaften Niederschlesien, Lebuser Land und Westpommern. Denn ein informelles Netzwerk wie das Bündnis der vier Bundesländer und drei Woiwodschaften lebt vom politischen Willen und dem Vertrauen über die Grenzen hinweg. Sonst könnte man die Interessen der Grenzregion auch den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen anvertrauen, die alle zwei Jahre in Warschau oder Berlin stattfinden.
Wowereit schwänzte einfach die Spitzentreffen
Vielleicht wusste Klaus Wowereit aber auch nur nicht, was er bei den ebenfalls alle zwei Jahren stattfinden Spitzentreffen der Oder-Partnerschaft sollte. Denn seit der Gründung 2006 sind zwar viele Ziele formuliert worden. Die großen Erfolge aber blieben aus. „Die Schienenverbindungen zwischen Deutschland und Polen sind noch immer ein schwieriges Thema“, sagt die Staatssekretärin für Europa in der Berliner Senatskanzlei, Hella Dunger-Löper.
Denn neben den wegfallenden Bahnverbindungen nach Breslau ist auch die Strecke ins nur 120 Kilometer entfernte Stettin nicht ausgebaut. „Auf der anderen Seite“, so Dunger-Löper, „wird das Netz an Kooperationen immer dichter.“ So seien bei einem „Netzwerktreffen deutsch-polnischer Akteure“ Ende Dezember über 70 Personen einer Einladung des Europareferats und der polnischen Botschaft gefolgt. Ist also die Zivilgesellschaft schon einen Schritt weiter als die Politik?
Als die Partnerschaft unter dem Motto „Grenzen teilen, die Oder verbindet“ 2006 aus der Taufe gehoben wurde, bedeutete das auch einen Perspektivenwechsel in der Berliner „Außenpolitik“. „Viel zu lange hat Berlin nach Warschau, Moskau oder Peking geschaut, statt sich um die Region zu kümmern, die vor der eigenen Haustür liegt“, hatte der damalige Wirtschaftssenator Harald Wolf betont. Es folgte 2008 ein Spitzentreffen in Posen, zwei Jahre später trafen sich die Beteiligten in Potsdam und Stettin, 2012 in Greifswald. Was für Berlin besonders attraktiv ist: Mit von der Partie sind nicht nur die drei westpolnischen Woiwodschaften, sondern auch die Wirtschaftsmetropolen Breslau, Posen und Stettin.
„Die wichtigen Themen waren von Anfang an Wirtschaft, Tourismus und Verkehr“, erinnert sich Hella Dunger-Löper und unterstreicht auch die Erfolge, die es gibt. „Wir vermarkten nun gemeinsam die Region bei internationalen Tourismusmessen.“ Außerdem seien zahlreiche grenzüberschreitende Projekte aus den EU-Strukturmitteln finanziert worden. „Selbst eine Kooperation der deutschen und polnischen Staatsarchive haben wir auf den Weg gebracht.“
Vorbild für die Oder-Partnerschaft ist die Großregion SaarLorLux im Vierländereck zwischen Deutschland, Belgien, Luxemburg und Frankreich. Der Höhepunkt der grenzenlosen Zusammenarbeit war 2007 die gemeinsame Vermarktung der Region mit der Stadt Luxemburg als Kulturhauptstadt Europas. Auch ein grenzüberschreitendes Bahnticket gibt es sowie ein dichtes Netz an Kooperationen im Bereich Wirtschaft, Tourismus und Kultur.
Einfach war diese Zusammenarbeit im deutschen Westen nicht, denn neben föderalen Ländern wie Deutschland und Belgien ist auch das zentralistische Frankreich mit von der Partie, das traditionell Probleme hat, Kompetenzen an die Grenzregionen abzugeben. Das ist in Polen nicht anders, sagt Berlins Europa-Staatssekretärin Dunger-Löper. „Die Ergebnisse müssen immer von Berlin und Warschau im Rahmen der deutsch-polnischen Regierungskonsultationen abgesegnet werden.“ Das betrifft auch das neue Polizeiabkommen zwischen Deutschland und Polen, mit dem die Kriminalität in der Grenzregion erfolgreicher bekämpft werden soll.
Eines der ambitioniertesten Projekte in der Grenzregion ist inzwischen die grenzüberschreitende Metropolregion Stettin. „Das ist eine neue Stufe der Zusammenarbeit“, freut sich Patrycjusz Ceran von der Stettiner Stadtverwaltung, zuständig für die auswärtigen Beziehungen.
Ambitioniert & grenzenlos: Metropolenregion Stettin
Bereits im November 2013 hatten die Länder Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sowie das Marschallamt Westpommern ein Kommuniqué unterzeichnet, in dem es heißt: „Die grenzüberschreitende Metropolregion strebt eine funktionierende Aufgabenabstimmung zwischen der Metropole Stettin und den Städten und Gemeinden der Region an.“
Selbstverständlich war das lange nicht, denn federführend für die polnische Raumplanung ist das Ministerium für Infrastruktur und Entwicklung in Warschau. Doch der Blick in Stettin richtet sich weniger auf die Weichsel denn auf die Oderregion – auch deshalb, weil inzwischen Tausende polnischer Staatsbürger auf der deutschen Seite der Grenze leben.
Im Rahmen der Metropolregion soll deshalb nicht nur über Verbesserungen bei den Verkehrsverbindungen nachgedacht werden, sondern auch über Themen wie Bildung, Sprache und Kultur. „Wir müssen feststellen, dass Deutsch als Fremdsprache in Stettin wieder an Bedeutung verliert“, sagte Ceran Ende Dezember auf einer Veranstaltung der Stiftung Genshagen. „Wir brauchen deshalb auch Programme zur Förderung der interkulturellen Kompetenz.“ Die sind aber auch auf deutscher Seite nötig. Denn in Polen, sagte Ceran, lernten immerhin zwei Millionen Kinder Deutsch, während in Deutschland lediglich 20.000 Kinder Polnisch lernten. Jedes zehnte davon übrigens in Brandenburg.
Dennoch blickt Patrycjusz Ceran optimistisch in die Zukunft. „Die Zusammenarbeit läuft inzwischen viel besser als noch vor ein paar Jahren“, sagt der Stettiner Deutschlandkenner. „Auch in der deutsch-polnischen Grenzregion ist ein Niveau möglich, wie es bei der Großregion SaarLorLux besteht.“
Bestes Beispiel ist das Stettin-Ticket der VBB, das nicht nur im Berliner Stadtgebiet gültig ist, sondern auch in den Bussen und Straßenbahnen der westpommerschen Hauptstadt. Vorbild für das Ticket waren die grenzüberschreitenden Angebote, die die Bahn zwischen Deutschland, Luxemburg und Frankreich anbietet.
Die Zusammenarbeit zwischen Stettin, Potsdam und Berlin wird auch Thema beim Spitzentreffen in Breslau sein. Ein detailliertes Entwicklungskonzept für die grenzüberschreitende Metropolregion befindet sich derzeit in der Abstimmung zwischen den drei Bundesländern und der Woiwodschaft Westpommern. Im April soll es auf einer Konferenz in Stettin verabschiedet werden. Im Herbst 2015 wird dann der Ausschuss für Raumordnung der deutsch-polnischen Regierungskommission tagen.
Für Anne Quart, die seit Dezember amtierende Europa-Staatssekretärin in Brandenburg, misst sich der Erfolg in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit allerdings nicht nur in abstrakten Themen wie Raumplanung, sondern auch im Alltag. „Lange Zeit haben die Verbraucher geklagt, dass es kaum Chancen gebe, seine Ansprüche auf der anderen Seite der Grenze geltend zu machen“, sagt die Linken-Politikerin, die sechs Sprachen spricht. „Nun haben wir ein deutsch-polnisches Verbraucherinformationszentrum, in dem die Leute beraten werden.“
Für Quart ist die Oder-Partnerschaft deshalb auch eine Chance, die Region zu einer „Modellregion der gelebten Integration“ zu machen. „Langfristig streben wir auch an, aus der Viadrina eine deutsch-polnische Universität zu machen“, so Quart.
2016 wird Breslau die Kulturhauptstadt Europas
Nach dem Scheitern vieler großen Projekte wie bei der Verkehrsinfrastruktur dominieren auf beiden Seiten der Oder tatsächlich nun die sogenannten weichen Themen. Das gilt auch für die Berliner Staatskanzlei. „Wir wollen künftig auch in Berlin am deutsch-polnischen Tag teilnehmen“, sagt Staatssekretärin Hella Dunger-Löper. Einmal im Jahr, so lautet die Initiative dzien.de und tag.pl, die von der polnischen Botschaft in Berlin ausging, sollen sich die deutschen Schulen mit Polen und die polnischen Schulen mit Deutschland beschäftigen.
Bislang hat nur Brandenburg die Gelegenheit genutzt, die Schülerinnen und Schüler auf Sprache und Kultur des Nachbarlandes aufmerksam zu machen. Nun lernen auch die Berliner Schüler etwas Polnisch. Einen entsprechenden Brief des polnischen Botschafters hat Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD) schon an die Schulen weitergeleitet.
Doch erst einmal heißt es, mit dem Auto nach Breslau fahren. „Trotz der Rückschläge bei der Bahn ist das eine gute Gelegenheit, die Zusammenarbeit voranzutreiben“, so Dunger-Löper. „2016 wird Breslau schließlich europäische Kulturhauptstadt.“
Allerdings war es auch das niederschlesische Marschallamt, das nach einer Mittelkürzung aus Warschau den Regionalexpress nach Dresden von der Schiene nahm. Die Kulturhauptstadt Breslau, monierte kürzlich der grüne Europaabgeordnete Michael Cramer, wird dann von Deutschland aus nicht mit dem Zug erreichbar sein.