Deutschland ist nicht Kanada

QUALIFIKATION Klassische Einwanderungsländer wie Kanada regeln ihre Einwanderung nach einem differenzierten Punktesystem. Allerdings warnen deutsche Migrationsexperten davor, solche Modelle ohne Weiteres auf die Bundesrepublik zu übertragen

■ Eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger teilt den Wunsch der SPD nach einem Einwanderungsgesetz. Sowohl 76 Prozent ihrer Anhänger als auch der von CDU und CSU sind der Auffassung, dass die Einwanderung nach Deutschland gesetzlich geregelt werden sollte. Nur 23 Prozent hielten das nach einer im Februar veröffentlichten Forsa-Umfrage im Auftrag des Stern für unnötig.

■ Umstritten bleibt aber, was ein neues Einwanderungsgesetz genau regeln sollte. 26 Prozent der BürgerInnen meinen, die Bundesrepublik solle mehr Zuwanderer als bisher aufnehmen. 27 Prozent votieren für weniger – bei Sympathisanten der AfD sogar mehr als zwei Drittel. 43 Prozent sind für so viele Einwanderer wie bisher. 32 Prozent sind der Ansicht, dass vor allem Menschen in Not Aufnahme finden sollen, 11 Prozent sprechen sich vor allem für Fachkräfte aus, die für die deutsche Wirtschaft nützlich sind. Eine Mehrheit von 55 Prozent will da keinen Unterschied machen. (bax)

BERLIN taz | Alle schauen nach Kanada. Nachdem SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann schon im Februar dorthin reiste, um die Einwanderungsregeln zu studieren, will sich nun auch CDU-Generalsekretär Peter Tauber noch vor Ostern nach Ottawa aufmachen, um das kanadische Punktesystem kennenzulernen.

Klassische Einwanderungsländer wie Kanada, die USA oder Australien nehmen nur Zuwanderer mit bestimmten Qualifikationen auf. Kanada etwa sucht sich seine Neubürger per Test und nach Kriterien wie Alter, Bildung und Ausbildung, Beruf und Berufserfahrung aus. Auch Englisch- und Französischkenntnisse werden abgefragt.

Für all diese Fähigkeiten gibt es Punkte, wer legal nach Kanada einwandern möchte, muss mindestens 67 von 100 von diesen erreichen. Seit Jahresbeginn hat das Land dieses System allerdings überarbeitet: Jetzt werden Bewerber bevorzugt, wenn sie schon ein Job-Angebot haben, jung sind und bereits längere Zeit in Kanada gelebt haben. In den vergangenen Jahren waren zu viele Akademiker eingereist – und hatten dann keine ihrer Qualifikation angemessene Anstellung gefunden.

Wer dauerhaft in den Vereinigten Staaten wohnen und arbeiten möchte, braucht dafür eine Green Card. Gute Aussichten hat nur, wer etwa besonders qualifiziert, mit einem US-Staatsbürger verheiratet ist oder im Land investieren will. Die Einwanderungsbehörde veranstaltet seit 1990 zudem eine Lotterie, die jedem Bewerber die Chance gibt, eine Green Card zu gewinnen. Ein Computer entscheidet dann nach dem Zufallsprinzip, wen das große Los trifft.

Deutsche Experten warnen allerdings davor, solche Modelle einfach zu kopieren. Ein einfaches „Wir machen es wie Kanada“ gehe an den Realitäten vorbei, sagt etwa Christine Langenfeld, die Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) – zumal sich Kanada längst von einem reinen Punktesystem verabschiedet und Deutschland angenähert habe, indem es inzwischen auf einem Arbeitsvertrag bestehe.

Gegen ein Punktesystem spreche auch, dass es ein „konkurrierendes Parallelsystem“ zur EU-weiten Blue Card bilden und die Dinge „unnötig verkomplizieren“ könnte, so Langenfeld. Um Europa für qualifizierte Einwanderer attraktiver zu machen, hat die EU im Juni 2011 die Blue Card eingeführt. Fachkräfte dürfen damit bis zu vier Jahre in der EU arbeiten und ihre Angehörigen nachholen.

Die einzelnen EU-Staaten haben einen großen Spielraum, ihre Einwanderungsregeln in diesem Rahmen auszulegen. Voraussetzung zur Einwanderung ist aber in der Regel ein fester Arbeitsvertrag, eine abgeschlossene Ausbildung und ein Mindestgehalt – in Deutschland liegt die Latte derzeit bei 48.400 Euro.

Kanada wählt sich seine Einwanderer nach Kriterien wie Alter, Ausbildung, Beruf und Berufserfahrung aus. Ein Arbeitsvertrag ist jetzt auch notwendig

In der Debatte um ein Einwanderungsgesetz sieht Langenfeld dennoch eine Chance, „um das Selbstverständnis Deutschlands als Einwanderungsland zu stärken“. Auch Herbert Brücker vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) plädiert dafür, den deutschen Arbeitsmarkt für Arbeitskräfte aus Afrika, Asien oder Amerika zu öffnen.

Ein Punktesystem mache für Deutschland aber nur Sinn, wenn es sich „auf wenige allgemeine Kriterien – Hochschul- und berufsqualifizierender Abschluss, Vorlage eines Arbeitsvertrages, Sprachkenntnisse – stützen würde“. Nur so könnten das Zuwanderungsverfahren stark vereinfacht und die Hürden deutlich gesenkt werden, so Brücker. Andernfalls würde es wohl kaum Auswirkungen haben. DANIEL BAX