Intellektueller auf der Suche nach etwas neuem Dritten

GESPRÄCH Die SPD versuchte im Willy-Brandt-Haus mal wieder, einen Dialog zwischen Politik und Philosophie hinzukriegen. Zu Gast war der chinesische Intellektuelle Wang Hui. Der erklärte trickreich, warum die Menschenrechte im Westen so wichtig sein müssen

Im Atrium des Willy-Brandt-Hauses lief leise klassische Musik. Studierende, Pressevertreter, wenige Chinesen wie zahlreiche Alte bildeten das Publikum. Sigmar Gabriel wird es später sagen, das Durchschnittsalter der SPD-Mitglieder liegt bei 59 Jahren. Ein Soundlogo ertönt, die roten Ledersessel neben der übergroßen Brandt-Skulptur stehen bereit für die angekündigten Vortragsgäste, den SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel und den chinesischen Intellektuellen Wang Hui. Unter einem Signet aus Sokrates-Kopf und abgeschnittenem Bundesadler veranstaltete das Kulturforum der SPD zum zwölften Mal „Philosophy meets Politics“.

Bei diesem Selbstverständnis ist der Pekinger Universitätsprofessor für Literatur und Geschichte und Vertreter der chinesischen Neuen Linken ein überraschender Gast. Denn er gehört zwar nicht der Nomenklatura an, hat in den USA gelehrt und befindet sich auf der Höhe des westlichen Diskurses, kritisiert aber das chinesische wie das westliche politische System, um auf etwas neues Drittes zu kommen. Der Politiker, der nur über „unser Land“ spricht, versucht das Abstandnehmen erst gar nicht. Genau darin scheint ein Grundproblem der Politik zu liegen, sie bewegt sich nicht, sondern sendet für die Alten.

Eröffnet wird die Runde vom SPD-Philosophen und Erfinder der Veranstaltungsreihe, Julian Nida-Rümelin, der es westlichen Politikern gleichtut, indem er den Menschenrechtsdiskurs zur globalen Veranstaltung erhebt, aber „manche Staaten wehren sich gegen den Einfluss“.

Weiter im süffisanten Ton stellt er Wang Hui vor, der 2008 für Foreign Policy zu den 100 wichtigsten Intellektuellen zählte. Bevor Wang mit seinem Vortrag beginnt, antwortet er auf das Narrativ von den Menschenrechten, das er schon allzu oft gehört haben muss. Warum sie im Westen so wichtig sind, erklärt er trickreich. Zuerst mussten sich die Europäer gegen die religiöse Dominanz und dann gegen säkulare Hierarchien wehren. In China hingegen seien Hierarchien nicht so entwickelt, was an unterschiedlichen historischen Umständen liege.

Später auf dem Podium wird ihn Politikwissenschaftler und SPD-Mitglied Thomas Meyer unterstützen, wenn er sagt, die KP wie schon die Kaiser antworteten auf die Bedürfnisse der Bevölkerung.

Aus den Entwicklungen in Osteuropa nach 1989 zieht der immer freundliche Wang den Schluss, dass China seine politischen Reformen auf eigenem sozialem Erbe aufbauen und nicht einfach andere Modelle kopieren soll. Europa müsse aber auch seine gesellschaftliche Demokratie rekonstruieren, da durch die Globalisierung die politischen Parteien immer mehr staatliche Funktionen übernehmen. Deswegen schlägt Wang vor, über den Nationalstaat hinauszudenken und die internationale Dimension als politische Rahmenbedingung zu betrachten.

Sagt der SPD Vorsitzende etwas dazu? Gabriel übt Parteikritik mit einer saloppen Asche-auf-unsere-Häupter-Rhetorik, deren Sound immer dann ins Rheinische kippt, wenn es nach Wahlkampf klingt. Pastoral räumt er ein, dass sie „in der Regel mit Ideen der Political Correctness über die Unterschiede hinweg“ gehen. Eine Umfrage von Forsa hätte gezeigt, dass 0 Prozent der Arbeiter in Deutschland meinen, über Wahlen einen wesentlichen Einfluss auf Politik zu haben. Eine Vertrauenskrise, der Gabriel mit der „Abstimmung von Inhalten“ begegnen will, „die genauso schräg“ ausfallen können wie manche Entscheidung im Parlament. Das hört sich ganz nach dem alten Popkulturbeauftragten Gabriel an.

Im anschließenden Podiumsgespräch versucht Meyer ein Gespräch zu vermitteln. Die Parteihochschulen in China arbeiteten an ähnlichen Projekten, er wisse von gemeinsamen Fragestellungen. Doch da ist Gabriel schon weg und Moderator Wolfgang Thierse hört nur die DDR-Glocken läuten. So muss der Austausch zwischen Philosophie und Politik an Ressentiments und dem Beharren auf Deutungshoheit scheitern.

VERA TOLLMANN

■ Die Vortragstexte von Gabriel und Wang sind hier online zu finden: www.kulturundpolitik.de/aktuelles/die-krise-der-politik