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Archiv-Artikel

Keine Traurigkeit

Das Leben, ein Witz: Die Schweizer Regisseurin Barbara Weber, bisher bekannt für Polit-Pop, zeigt Lessings „Miss Sara Sampson“ im Gorki Theater

VON CORNELIA GELLRICH

„Haben Sie Foucault gelesen?“, fragt der Hotelwirt (Ronald Kukulies) jeden, der ihm in die Finger kommt, um alsdann seine Lieblingserkenntnis zu verkünden: Die Grenze wird erst durch ihre Überschreitung als solche erkennbar. In Barbara Webers Fassung der „Miss Sara Sampson“ im Gorki Theater wird von Überschreitungen jeglicher Art abgesehen. Die Figuren und mit ihnen das Stück bleiben auf einem Grenzstreifen stehen und können sich nicht entscheiden zwischen der Vergangenheit und einer erträumten Zukunft.

In Lessings rührseligem bürgerlichem Trauerspiel von 1755 verlässt die tugendhafte Sara Sampson ihren werten Papa, um mit dem windigen Mellefont durchzubrennen, der mit fadenscheinigen Ausflüchten die Fessel der für Sara so wichtigen Ehe weiterhin meidet. Seine Exgeliebte Marwood taucht auf, verdorben und intrigant, um sich den Liebhaber zurückzuholen, während Saras Vater ebendiese zurückzugewinnen gekommen ist. Sich abzeichnende Versöhnungen werden durch Giftmord im Keime erstickt.

Den Vater lässt Barbara Weber erst gar nicht auftreten, er existiert nur im wirren Gequengel seiner Tochter. Und ihre Marwood (Anne Ratte-Polle) ist nicht länger die Hure, die die Heilige tötet, sondern eine verlassene Frau, die verzweifelt unter Inkaufnahme von Erniedrigung und Gewaltausbrüchen um den Verflossenen kämpft. Die beiden Frauen sind sich also sehr ähnlich und freunden sich an. Die Liebe zwischen Sara (Anja Schneider) und Mellefont (Peter Moltzen) wirkt so heiß nicht; die Frauen, die er sich nimmt, um sie dann liegen zu lassen, gleichen sich.

Barbara Weber, Jahrgang 1975, wird 2008 zusammen mit dem Regisseur Rafael Sanchez die Leitung des Neumarkt-Theaters in Zürich übernehmen. Bekannt wurde sie durch Stücke wie „RAF-unplugged“ (2005) und „Mother T.-unplugged“ (2004), wo sie große Geschichten – den langen deutschen Herbst und das Leben der Mutter Teresa – mit kurzer Probezeit und kleinem Budget, mit viel Perücken und Requisiten, einem Musiker und einer Handvoll beeindruckender Darsteller ironisch nacherzählte. Anschließend wusste jeder, worum es gegangen war, und hatte außerdem herzhaft gelacht.

Nach einem ähnlichen Prinzip ist „Miss Sara Sampson“ aufgebaut, in rasanten anderthalb Stunden. Slapstick trifft auf Slapstick, die Haare werden vom Kopf und die Schuhe vom Fuß gerissen, es wird improvisiert, gealbert und geknutscht. All das ist wirklich amüsant und nicht unerotisch. Nah kommt sich auf dieser Schlauchbühne keiner. Mellefont und Sara kommunizieren über Schreibmaschinen, mit denen sie die Namen des anderen unzählige Male schreiben, die beiden Frauen halten sich die jeweils andere mit dem knipsenden Fotoapparat vom Leib. Alle sind verkleidet, begehrt wird nur der Fetisch. Sara deklamiert: „Vom Weinen und Klagen, meinen einzigen Beschäftigungen, ermüdet, sank ich mit halb geschlossenen Augenlidern auf das Bett zurück.“ Von einer solchen Traurigkeit ist auf dieser Bühne aber ebenso wenig zu spüren wie von möglichem Glück. Das Leben erscheint eher als eine Aneinanderreihung von Witzen und Langeweile in den Lücken.

„Miss Sara Sampson“, Gorki Theater Studio, 20. 11., 7. 12., 21. 12., 20 Uhr