Schattenboxen auf der Leinwand

Mit „Pushing Hands“, dem Debüt von Ang Lee, beginnt im Kino 46 ein kleines taiwanisches Filmfest

Politisch mag Taiwan immer noch gegen den Widerstand der übermächtig scheinenden Volksrepublik China um seine Unabhängigkeit kämpfen, aber als Filmnation wird der kleine Inselstaat weltweit längst anerkannt. Dies ist umso erstaunlicher, weil er sich nicht im gleichen Masse wie etwa Hongkong mit Genrefilmen auf dem asiatischen Markt durchsetzte, sondern stattdessen mit einem anspruchsvollen Kunstkino auf den internationalen Festivals gefeiert wird.

Der Hauptgrund dafür liegt in einer guten Filmförderung, die wiederum darauf basiert, dass die Politiker in Taipeh darum wissen, wie wichtig es für ihren Staat ist, eine eigene Identität zu entwickeln, und dass dafür die Kultur ein gutes, lang erprobtes Mittel ist. In den frühen 80er Jahren konnte man sogar von einer taiwanischen Neuen Welle sprechen, bei der die Filmemacher politisch und ästhetisch mit einer so in Asien kaum gekannten Radikalität arbeiteten. Der wichtigste Vertreter dieser Bewegung ist Hou Hsiao-Hsien, der mit kommerziellen Jugendfilmen in der Filmindustrie des Landes debütierte, dann aber bald einen ganz eigenen, anti-dramatischen Stil entwickelte, dessen Markenzeichen lange, mit der statischen Kamera aufgenommene Sequenzen wurden, die in den besten Momenten eine fast hypnotische Klarheit bekommen. Sein internationaler Durchbruch gelang ihm mit „Stadt der Traurigkeit“, der 1989 in Venedig den Goldenen Löwen gewann, und in dem er episch von der Okkupationszeit Taiwans durch die Japaner zwischen 1945 und 49 erzählt.

Wenn nun von Freitag an zehn Tage lang unter dem Titel „Insel der Sinne – Taiwan Cinema“ das erste, offiziell von der Taipeh-Vertretung mitveranstaltete, Filmfestival in Bremen stattfindet, wird dort natürlich auch „Stadt der Traurigkeit“ gezeigt. Mit dem 1987 gedrehten „Liebe, Wind, Staub“ ist noch ein weiterer früher Film von Hou Hsiao-Hsien im Programm, in dem ausgehend von einer Liebe zwischen Teenagern zugleich mit soziologischer Präzision und einem poetischen Blick auf das Alltägliche vom taiwanischen Familienleben erzählt wird.

In den letzten Jahren ist es still um Hou Hsiao-Hsien geworden. Er bekommt inzwischen Auszeichnungen für sein Gesamtwerk wie etwa den diesjährigen Ehrenleoparden von Locarno und macht noch Filme, die aber wie sein „Three Times“ von 2006 nur noch in seiner Heimat ihr Publikum finden.

Inzwischen hat Ang Lee von ihm die Staffel als bekanntester Regisseur des Landes übernommen, obwohl bei ihm diese Zuordnung nicht ganz so eindeutig ist, denn er wuchs zwar in Taiwan auf, studierte aber von 1978 an in den USA Film und Theaterwissenschaften. Dort drehte er auch seine ersten Filme, so dass man ihn streng genommen kaum als taiwanischen Regisseur ansehen kann. Andererseits ist aber diese Entwurzelung eine für Taiwaner typische Erfahrung, und in Lees erstem, selten gezeigten Langfilm „Pushing Hands“ aus dem Jahr 1992 wird sie eindrücklich thematisiert.

Lees Lieblingsschauspieler Sihung Lung, der auch in den beiden folgenden Filmen von Lees Trilogie über Generationskonflikte moderner Taiwaner „The Wedding Banquet“ und „Eat Drink Man Women“ mitspielte, verkörpert hier einen angesehenen Lehrer für Schattenboxen, der nach seiner Pensionierung zu seinem Sohn in die USA zieht. Seine traditionelle chinesische Lebensweise verträgt sich aber nicht mit dem modernen Familienleben, wie ihm seine amerikanische Schwiegertochter schnell klar macht. Sie ist eine Stadtneurotikerin, die wie aus einem Woody Allen Film herausgefallen zu sein scheint. Lee, der später in Filmen wie „The Ice Storm“ und „Sense and Sensibilty“ auch westliche Charaktere so komplex und subtil in Szene setzten konnte, offenbart bei dieser Figur noch überraschende Schwächen, denn allzu offensichtlich wird sie nur als der störende Faktor gezeigt. Sehenswert ist der Film dennoch, weil Lees behutsam-zärtlicher Umgang mit seinen Filmfiguren schon klar erkennbar ist.

Gezeigt werden außerdem seine beiden in New York gedrehten Kurzfilme „Shades of The Lake“ und „Fine Line“. Nach „Crouching Tiger, Hidden Dragon“ ist der diesjährig in Venedig ausgezeichnete „Gefahr und Begierde“, erst sein zweiter in seinem Heimatland produzierter Film. Dennoch darf er von dem Inselstaat nicht für den diesjährigen Oscar nominiert werden, weil er als eine Koproduktion mit der Volksrepublik China nach den Bestimmungen nicht mehr als ein genuin taiwanischer Film gewertet wird. Das Schattenboxen bleibt also eine gute Metapher für das Land. Wilfried Hippen