Lobgesang auf Müntefering

betr.: „Der letzte Coup des Rätselhaften“, taz vom 14. 11. 07

Ja, ist er denn schon tot, der Müntefering?! Lobgesänge unter Ausblendung der (politischen) Fehler kennt man sonst nur aus Nachrufen. „Mit ihm verliert die SPD einen ihrer letzten Sozialdemokraten.“

Was bitte ist „sozialdemokratisch“ an der Rente 67 und Müntes Weigerung, Übergangsregelungen zuzulassen? Was ist sozialdemokratisch an seinem dogmatischen Festhalten an den gescheiterten Hartz-Gesetzen, zuletzt deutlich geworden am Widerstand gegen die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I für Ältere?

Was an der Verlängerung der Abgabenbefreiung bei den Betriebsrenten und deren negativen Auswirkungen auf die Rentenkasse ist sozialdemokratisch? Was ist sozialdemokratisch an seinen Werbefeldzügen für die private Vorsorge oder zur Erhöhung der staatlichen Subventionen für die Riester-Rente? Was ist sozialdemokratisch an lächerlichen Rentenerhöhungen von 0,49 Prozent im Westen und von 0,69 Prozent im Osten im kommenden Jahr? Was ist sozialdemokratisch an der Untätigkeit gegenüber der Ausweitung des Niedriglohnsektors oder gegenüber der Lockerung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes als Anstoß zur explosionsartigen Ausdehnung der Leiharbeit?

Was ist sozialdemokratisch an der Untätigkeit gegenüber den von ihm selbst so genannten „Heuschrecken“ und gegenüber den Verbesserungen der „Arbeitsbedingungen“ von Spekulationsfonds in Deutschland oder seiner Untätigkeit gegenüber der Steuerbefreiung der Gewinne bei Unternehmensverkäufen?

Was war sozialdemokratisch daran, wie Franz Müntefering zusammen mit Gerhard Schröder die Agenda 2010 und die Neuwahlen im Jahre 2005 durchgesetzt hat, womit er die sozialdemokratische Kanzlerschaft um ein Jahr abgekürzt hat, um die „Reformen“ nicht zu gefährden und sie durch eine große Koalition abzusichern? Der Satz von Kurt Beck, „ohne ihn wäre 2005 diese Koalition auf Augenhöhe nicht zustande gekommen“, wirkt da wie ein spätes Eingeständnis, dass diese Koalition von vornherein das Ziel war. Was war sozialdemokratisch an der Mehrwertsteuererhöhung – vorher noch als Merkel-Steuer bekämpft?

Heutzutage ist wohl bereits ein (längst fälliger) Rücktritt Grund für die Medien zur „ultimativen Lobhudelei“ oder wenigstens für das Ausblenden gemachter Fehler. TIM KARSTEN, Berlin