Puritanismus gegen Sinneslust

BÜHNE Petra Janina Schultz baut in ihrem Regiedebüt auf deutliche Setzungen, eine klare Figurenkonzeption und verzichtet in Schillers „Maria Stuart“ auf Jux und Kokolores

Die männermordende und doch heilige Megäre Maria schafft es, sich trotz ihres Martyriums von Demütigungen und vergeblichen Hoffnungen zu verklären

VON JENS FISCHER

Die eine hat sie noch, die andere will sie zurück: Macht. Diesem einsam machenden Streben wird alles geopfert, es bestimmt auch die persönlichen Verhältnisse. Ein Lehrstück über Politik ohne jede Moral wird im Theater am Leibnizplatz gegeben.

Rechts auf der Bühne im güldenen Bilderrahmen, auf Plateausohlen aufgebockt, das muss Elisabeth I. sein, die in Sachen Herrschaft gerade die Nase vorn hat. Ihr blasses Haupt ist gekrönt von kunstvoll gekräuselter, gebirgig auftoupierter Rotschopfpracht, ihr überschlanker Körper steckt in einem samtig glänzenden, blau-grauen Hosenanzug. Durchgedrückt ist das Rückgrat, ehrgeizig straff die Haltung. Mit resigniertem Stolz spricht Elisabeth über ihre Jungfräulichkeit und doppelt die Wortbeiträge gern mit raumgreifend gezierten Gesten: Vorgetäuschte Stärke soll innere Leere und peinigende Entscheidungsschwäche verdecken.

Links auf der Bühne kauert auf einem Klappstuhl die Widersacherin: Maria Stuart, aus Schottland geflüchtete Asylbewerberin, prunkt mit wildlockig um ihr Haupt krautender Mähne. Klein und doch groß auftrumpfend wirkt die Launische im knallroten Kleid, scheint von langer U-Haft ver-, aber nicht zerstört. Hektisch unterstreicht Maria mit kleinteiligem Gestenrepertoire ihre temperamentvolle Art – und initiiert mit keckem Augenaufschlag immer wieder ihre Verführungskünste. Stolzierend intellektuelle Dame vs. tänzelnd impulsives Weib, anglikanischer Puritanismus vs. katholische Sinnenlust.

Petra Janina Schultz baut in ihrem Regiedebüt mit Friedrich Schillers „Maria Stuart“ auf deutliche Setzungen und eine klare Figurenkonzeption. Die in Neid verstrickten Herrscherinnen sind also vis-à-vis auf dem Spielplateau platziert, das für beide ein Gefängnis ist – der Konventionen und des Machtstrebens. Das auf fünf männliche Figuren eingedampfte Spielball-Personal agiert als Typenpanoptikum vor der Bühne und wird nur ab und an von den Frauen heraufgebeten. Wobei Michael Meyer allein schon sprachlich die größte Präsenz des vierköpfigen Ensembles entwickelt – und beispielsweise den eitlen Toyboy Leicester hinreißend mit opportunistischer Geckenhaftigkeit spielt.

Die Bremer Shakespeare Company ist mit dieser Stückwahl in guter Gesellschaft. Viele Theater versuchen, das pessimistische Politdrama von 1800 als brandaktuellen Politkrimi zu präsentieren. Kunstvoll stilisierte Kirsten Uttendorf das Streitgefecht auf einem Laufsteg überm Orchestergraben des Stadttheaters Bremerhaven, scheiterte aber daran, das Maria und Elisabeth schauspielerisch nicht ebenbürtig besetzt waren, der Prinzipienkrieg daher nie auf Augenhöhe stattfand, was der glutvollen Versuchsanordnung die Spannung nahm.

Am Staatstheater Hannover brachte Dusan David Parízek gerade auch eine auf vier Akteure zusammengestrichene Fassung heraus – als um Beifall buhlende Politikershow voller Manipulationstaktiken, Heuchelarien und Selbstinszenierungen. Sehr reduziert dort das szenische Arrangement, sodass die üblichen Regiemätzchen umso deutlicher missfallen: Popsongs singen, auf den Boden kotzen, sich mit Freibier anbiedern, verschwiemelt Erotisches in sexuelle Überdeutlichkeit transferieren … Immerhin sind Maria und Elisabeth herausragend besetzt.

Wie derzeit auch am Theater Bremen mit Betty Freudenberg und Nadine Geyersbach. Nur vergeudet Regisseurin Anne Sophie Domenz dieses Potenzial dort mit performativen Albernheiten, überzeichnet comichaft, verspottet die Hauptfiguren als glamouröse Popkultur-Ikonen. So hat die Shakespeare Company im direkten Vergleich die Chance, sich gegen den großen Mitanbieter vor Ort zu profilieren. Was teilweise gelingt. Weil nicht die Fantasie der Zuschauer mit Bildern geflutet, sondern die Bühne freigeräumt wird für die moralischen Kontroversen des Textes.

Die Inszenierung vertraut Schiller und seiner Sprache. Franziska Mencz und Ulrike Knospe beherrschen sie über das reine Deklamieren hinaus – was aber fehlt, ist die darstellerische Überlebensgröße. Die männermordende und doch heilige Megäre Maria schafft es, trotz eines Martyriums von Demütigungen und vergeblichen Hoffnungen, sich innerlich zu befreien und äußerlich zu verklären. Doch Mencz gibt das allzu jugendzimmerkompatibel trotzköpfig, lässt wenig von den in ihr tobenden Turbulenzen erahnen. Und Knospe fehlt fast alles zur hochmütigen Eleganz einer Erhabenheit erstrebenden Königin. Chefsekräterinnenhaft bis matronenmütterlich wirkt sie; eine Kleinfamilie zu managen oder Bürohengste zu umsorgen, das ist ihr zuzutrauen, aber dass diese Elisabeth ein von allen Seiten bedrohtes England mit Kalkül erfolgreich regiert, ist nicht zu erahnen.

Der einzige zum Zerreißen gespannte Konflikt des Abends ist der des Staatssekretärs Davison – als ihm (in Gestalt der Maria-Darstellerin) Marias Todesurteil ausgehändigt und er bewusst im Unklaren gelassen wird, ob es vollstreckt oder nur verwahrt werden soll. Mitleidenswürdig wirkt seine todesängstliche Ratlosigkeit an einem sonst recht sachlichen Abend. Die Sprechoper kommt als etwas dröges Sprechstück, das kraftvolle Hass-Duell als seriöse Rhetorik-Affäre daher. Es ist aber auch eine mutige Anti-BSC-Inszenierung. Nur das direkte (wenn auch interaktionsfreie) Anspielen des Publikums (als Volk oder Parlament) nutzt Schultz als volkstheatrale Praxis, auf allen Juxkokolores hingegen verzichtet sie komplett.

heute, Samstag, 19.30 Uhr, Theater am Leibnizplatz