: Mitten im Fluss, mitten im Spiel
Nordwestlich von Buenos Aires liegt ein verwunschenes Gebiet, das Delta des Paraná. Hier fließen zwei mächtige Ströme zusammen, der Río Paraná und der Río Uruguay, gemeinsam bilden sie den Río de la Plata. Aus Schwemmland, Inseln, Mangroven, Schilf, aus breiten und schmalen Flussarmen entsteht eine einzigartige Landschaft. Sie ist nicht weit von der Großstadt Buenos Aires entfernt und doch entlegen, ein Traum- und Märchenland, in dem die Häuser auf Stelzen stehen und die Menschen sich in Booten bewegen.
In dieser Landschaft lässt der argentinische Regisseur Santiago Otheguy „La León“ spielen – eine ganz in Schwarzweiß gehaltene Meditation, in deren Mittelpunkt Alvaro (Jorge Román) steht. Der junge Mann lebt vom Reetschnitt und vom Fischfang; manchmal restauriert er alte Bücher, denen das feuchte Klima zusetzt. Einmal ist er mit seinem kleinen Boot auf einem der Flussarme unterwegs, sein Weg kreuzt den einer Jacht, seine Blicke begegnen denen des jungen Kapitäns. Als das Ruderboot fast an der Jacht vorbeigeglitten ist, setzt der Schnitt eine jähe Zäsur. In der folgenden Einstellung sieht man die entblößten Körper der beiden jungen Männer; sie umarmen sich.
Viel gesprochen oder erklärt wird nicht in „La León“. Der Film ist im Cinemascope-Format gedreht, die von Paula Grandio geführte Kamera liebt sattschwarze, nächtliche Szenerien, aus denen Lichtpunkte kontrastreich hervorstechen; genauso gern mag sie graue, nebelverhangene Totalen, in denen die Flusslandschaften besonders verwunschen erscheinen. In solchen Augenblicken wirkt der Film, als hätte Otheguy ihn vor der Ankunft des Menschen gedreht.
Die einzige Verbindung zur Außenwelt stellt das Passagierschiff „La León“ dar. Mit El Turu, dem Kapitän dieses Schiffs (Daniel Valenzuela), tritt eine Atmosphäre latenter Gewalt ins Spiel. Der gedrungene Mann hetzt gegen eine Gruppe von Siedlern, die sich vor kurzem flussaufwärts niedergelassen hat. In einer Kneipe beschimpft er Alvaro als „puto“, Schwuchtel, und das nicht einmal, sondern immer wieder. Otheguy dehnt die Szene aus, so dass die ihr zugrunde liegende Gewalttätigkeit nicht mehr goutierbar ist. Später stehen Alvaro und El Turu am Rande eines Fußballfelds und beobachten das Spiel, als sei nichts geschehen. Noch später wird man begreifen, dass unter der homophoben, machistischen Oberfläche El Turus ein Geheimnis wogt wie Schlingpflanzen unter der Wasseroberfläche. CRISTINA NORD
„La León“ läuft in den Kinos Filmkunst 66, Xenon und Hackesche Höfe