Italienische Reisen

Giorgio Bassani ist ein literarischer Klassiker des 20. Jahrhunderts. Bei Wagenbach erscheint nun eine durchgesehene Werkausgabe

VON JOCHEN SCHIMMANG

Am Ende stand die Alzheimersche Krankheit. Der Autor, der wie kein anderer seiner Generation in Italien gegen das Vergessen anschrieb, dämmerte in seiner römischen Wohnung zwischen alten Erinnerungsstücken vor sich hin, bewacht von seiner amerikanischen Lebensgefährtin Portia Prebys. In seinen letzten Lebensjahren hatten seine Exfrau und seine Kinder seine Entmündigung beantragt, während Portia Prebys dagegenhielt. Es ging um viel Geld, denn Giorgio Bassani, der sich schon lange aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und aufgehört hatte, zu schreiben, war noch immer ein erfolgreicher Autor.

Er ist das auch in Deutschland einmal gewesen. Sein berühmtester Roman „Die Gärten der Finzi-Contini“ stand 1963 lange ganz vorn auf der Spiegel-Bestsellerliste. Die früher entstandenen „Ferrareser Geschichten“ folgten ein Jahr später auf Deutsch. Aber drei Jahrzehnte danach hieß italienische Literatur bei uns Calvino, Eco, Fruttero & Lucentini. Bassani war ein Name, mit dem immer weniger Leser etwas anfangen konnten. Der Wagenbach Verlag hat nun verdienstvollerweise eine Werkausgabe begonnen, die diesen großen Schriftsteller in durchgesehenen Übersetzungen wieder zugänglich macht.

Giorgio Bassani gehört zu den Autoren, die man ähnlich wie Kafka, Joyce oder Faulkner mit dem Namen eines einzigen Ortes in Verbindung bringt. Im Fall Bassani heißt er Ferrara. Im Gegensatz zu dem anderen großen Sohn der Stadt, Michelangelo Antonioni, ist Bassani aber in Bologna geboren. Er wuchs jedoch in Ferrara auf, im Milieu des assimilierten jüdischen Bürgertums, das dort traditionell besonders stark war. Die Familie wurde nach dem Erlass der italienischen Rassengesetze 1938 jedoch ebenso vom öffentlichen Leben ausgeschlossen wie andere jüdische Familien auch. Der junge Bassani war ab 1943 als Kurier im Widerstand tätig, saß kurz in Haft und ging dann nach Rom, wo er den Rest seines Lebens verbrachte. Dort begann er zu schreiben und sein Ferrara neu zu erfinden. Sein eigentliches Debüt waren die „Ferrareser Geschichten“: fünf Erzählungen, in denen die Fundamente des Bassani-Universums gelegt werden und die gleich mit dem Premio Strega ausgezeichnet wurden, dem bedeutendsten italienischen Literaturpreis. Da war Bassani 40 Jahre alt.

Dass der Autor, wie es im Klappentext der Wagenbachschen Neuausgabe heißt, „seiner Heimatstadt und ihren Bewohnern ein liebesvolles Denkmal“ setzt, ist dabei eine arge Verniedlichung. Es geht in der Mehrheit dieser Erzählungen schließlich um das historische Versagen des Bürgertums unter dem italienischen Faschismus. Liebevoll daran ist höchstens, dass Bassani erzählt und nicht abrechnet. In der Geschichte „Eine Gedenktafel in der Via Manzini“ kehrt Geo Josz nach Ferrara zurück; als Einziger aus der 1943 deportierten israelitischen Gemeinde hat er Buchenwald überlebt. Geo Josz ist Sohn eines einst angesehenen Stoffgroßhändlers, und er wird das Geschäft seines Vaters fortführen. Er könnte sich ohne weiteres wieder ins gesellschaftliche Leben Ferraras integrieren, denn „das Leben fing wieder an. Und es ist bei solchem Neubeginn, wie jeder weiß, nicht besonders heikel.“ Wenn Geo nur nicht öffentlich die Fotos seiner Angehörigen herumzeigen würde, die in Buchenwald umgekommen sind! Und wenn er nicht eines Tages öffentlich den Grafen Scocca geohrfeigt hätte, einen Spitzel aus Mussolinis Zeiten, der nun auch wieder in der Stadt ist, um am „Schauspiel des sich ewig erneuernden Lebens, das doch immer das gleiche bleibt“, teilzunehmen. Für Geo kann das Leben natürlich nicht das gleiche bleiben. 1948 „entschloß sich Geo Josz, die Stadt zu verlassen. Er verschwand unversehens, wie eine Romanfigur, ohne die geringste Spur zu hinterlassen.“ Bald ist er vergessen.

Von solchem Vergessen, vom Untergang und vom Verschwinden erzählen Bassanis Bücher. Sein Blick auf die Welt und sein Verfahren der Beschreibung ist dem von W. G. Sebald ähnlich; nicht zufällig gehörte Bassani zu Sebalds Lieblingsautoren. Im Roman „Die Brille mit dem Goldrand“ wird die Geschichte des homosexuellen Doktor Fadigati erzählt, der sich unglücklich verliebt, von der Gesellschaft schließlich geächtet wird und schließlich aus dem Leben scheidet. Auch diese Geschichte ist in der Zeit des Faschismus und der Rassengesetze von 1938 angesiedelt. Und obwohl die faschistischen Jahre vorbei sind, bleibt die Ära Mussolini auch im Roman „Der Reiher“ der Hintergrund. Dieses Spätwerk Bassanis ist eine dichte Studie über einen alternden Rechtsanwalt, handlungsgehemmt und voller Lebensekel, der an einem frühen Sonntagmorgen auf die Jagd geht, einen Reiher schießt und, wieder daheim, seinen Freitod vorbereitet: ein äußerlich erfolgreiches, aber fehlgeschlagenes Leben, das in Einsamkeit endet, dabei aber ohne Larmoyanz.

So hätte vielleicht der alte Bassani in seinen letzten Lebensjahren über sich selbst geschrieben, wenn er noch hätte schreiben können. Im kommenden Frühjahr erscheinen dann „Die Gärten der Finzi-Contini“, zweifellos einer der schönsten Romane der Weltliteratur, wenn man denn angesichts der Schrecken, in denen er kulminiert, von Schönheit überhaupt sprechen darf. Mit diesem Roman allein erschrieb sich Bassani einen der vorderen Ränge in der italienischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Er möge gelesen werden, immer wieder aufs Neue.

Giorgio Bassani: „Ferrareser Geschichten“, 248 Seiten, 12 Euro; „Die Brille mit dem Goldrand“, 136 Seiten, 15,90 Euro; „Der Reiher“, 152 Seiten, 9 Euro. Alle Bücher aus dem Italienischen von Herbert Schlüter, Wagenbach Verlag, Berlin 2007