Im Schleudergang

QUEERNESS „Gritty Glamour“ im Ballhaus Naunynstraße verhandelt das Thema sexuelle Identität und bezieht postmigrantische Aspekte mit ein

„Bist du ein Mann? Oder eine Frau? Ich muss es einfach wissen“

AUS EINEM DIALOG IN „GRITTY GLAMOUR“

VON STEFAN HOCHGESAND

Greta erhält einen Anruf von der Casting-Agentin: Damals, vor 14 Jahren habe sie doch diesen heroinsüchtigen Transvestiten gespielt, in Dieter Wedels Film. Sie, die Agentin, habe da eine ganz tolle neue Rolle für Greta: einen heroinsüchtigen Transvestiten. Interesse? Greta: „Ruf mich wieder an in vierzehn Jahren!“ Die Anekdote spielt sie auf der Bühne noch mal durch. Greta (Dieter Rita Scholl), die androgyne Drag-Chansonnière, ist in den Siebzigern politisch sozialisiert. Sie kämpft gegen jede Form von Mackertum. Die Parole aus ihrer Jugend: Raus aus den Toiletten, raus auf die Straßen!

Nicht weiß = Dealer

Blue Collar (Ellison Renee Glenn) kann die Storys aus den Siebzigern nicht mehr hören. Die haben mit seinem Leben heute als Postmigrant Mitte dreißig kaum was zu tun. Er, der Rap-Poet hinter dem Mischpult, fühlt sich nicht nach diesem Charity-Event, das parallel gerade läuft, von dem das Publikum im Ballhaus Naunynstraße aber nichts sieht. Halb amüsiert listet Blue Collar uns seine drei Standardsituationen als „black man“ auf. Dazu gehört, dass man ihn nachts warne, wenn er unterwegs ist, in die Hasenheide zu gehen: „Da sind gerade lauter Cops.“ Und er, Blue Collar, müsse ja ein Dealer sein, schwingt da doch mit, weil er nicht weiß ist.

Ganz hinten auf der Ballhausbühne hängt ein Glamour-Vorhang aus Glitzer-LEDs. Dahinter ist in der Fiktion die Gala-Bühne für das Charityevent im Stück „Gritty Glamour“, das der 30-jährige Autor Daniel Martins aus Brasilien im Ballhaus auf die Bühne bringt. Martins hat auch in Kuba und den USA schon für Film und Theater gearbeitet – zu seinen Arbeiten gehören die Kurz-Doku „Traced in light“ (2012) sowie Buch und Film „I share my wife“ (2013).

Als Publikum sind wir in „Gritty Glamour“ quasi backstage in einem Kreuzberger Klub. Vier KünstlerInnen, darunter Greta und Blue Collar, machen sich für ihren Auftritt warm. Die vier kommen dabei ins Grübeln – darüber, wie sie wegen ihrer Sexualität und ihrer Migrationsgeschichte gleich doppelt aus dem Rahmen fallen.

Dass man queeres Anderssein auf Berliner Bühnen gerne feiert, ist nichts Neues. Falk Richter hat es letztes Jahr mit arg viel Pomp im Maxim Gorki Theater getan, in der Inszenierung seines Stückes „Small Town Boy“. Auch da tauchte der postmigrantische Aspekt schon auf, mit Mehmet Ateçi als einem der Hauptdarsteller. Dabei ist es nur konsequent, dass auch das Ballhaus Naunynstraße, das wie kein anderes Haus für postmigrantisches Theater steht, das Thema Queerness dergestalt intensiv untersucht. Dass es brandaktuell ist, zeigt der gerade laufende Berliner Gerichtsprozess um den 18-jährigen Nasser aus einer libanesischen Großfamilie: Er wurde mutmaßlich Opfer diverser Gewaltdelikte wie Zwangsverheiratung, Misshandlung und Entführung, um ihn von seiner Homosexualität abzubringen. Solange so etwas geschieht, braucht es Stücke wie „Gritty Glamour“.

Drei der vier Figuren haben einen Migrationshintergrund. Molina (Jair Luna) tanzt sich zwar in knappen Trainingshosen, Berghain-Style, die Seele aus dem Leib. Er sagt lässig, er sei heute Papaya, morgen Mango. Einmal schnallt er sich aber eine Waschmaschinentrommel über den Kopf – das verstörende Bild von jemandem, dessen Gedanken zerrüttet werden und der richtungslos schwankt.

„Darf ich dir eine sehr persönliche Frage stellen?“ Die vier fixieren mit den Blicken Einzelne aus dem Publikum und fragen neugierig bis verzweifelt: „Bist du ein Mann? Oder eine Frau? Ich muss es einfach wissen.“ Einer der eindringlichsten Momente des Abends. Es sind eben jene Sätze, denen auch Maria (Aérea Negrot) ausgesetzt ist. Ihre tolle Stimme schillert und springt, über Elektro-Beats, vom Bassbariton zum Countertenor.

Diesen Tonlagenwechseln, auch im übertragenen Sinne, widmet sich das vielsprachige (stets deutsch übertitelte) „Gritty Glamour“: Alle Figuren haben mindestens zwei Gesichter, emanzipatorisch und verletzlich. Die bei allem harten Tobak der Themen auch witzige Inszenierung (Regie führt Simon Jaikiriuma Paetau, der Dramaturg ist Iury Trojaborg) folgt – das passt sehr gut zum Sujet – keinem roten Handlungsfaden, sondern schafft ein mal mehr, mal weniger glamouröses Kaleidoskop aus Identitätsbruchstücken. Alle Charaktere werden ob ihrer Herkunft und sexuellen Identität mit Erwartungen überladen, aber man traut ihnen am Ende zu, dass sie sich davon befreien können werden. Ein mutiges Stück, das Mut macht.

■  Wieder am 13. und 14. März, 20 Uhr, Ballhaus Naunystraße