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Archiv-Artikel

Kleiner Gangster trifft Filmstar

ZITIERKINO In „London Boulevard“ bedient sich William Monahan mit mittlerem Geschick bei Klassikern der Filmgeschichte - dank der gelungenen Kameraarbeit wirkt die Inszenierung dennoch stimmig

VON ECKHARD HASCHEN

Wie es im Titel bereits anklingt, ist „London Boulevard“ ein Film, der sich mehr aus dem Kino speist als aus dem Leben. Schon Ken Bruens gleichnamige Romanvorlage ist eine Hommage an „Sunset Boulevard“, Billy Wilders 1950 gedrehtem Meisterwerk, in dem eine ehemalige Stummfilmgöttin (Gloria Swanson) einen jungen Drehbuchschreiber (William Holden) anheuert, um ihr zum langersehnten Comeback zu verhelfen.

Aus jenem Joe Gillis, der schließlich als Leiche in genau so einem Swimmingpool endet, wie er ihn sich immer erträumt hatte, ist hier Harry Mitchel (Colin Farrell) geworden, ein Londoner Kleinkrimineller, der gerade eine dreijährige Gefängnisstrafe hinter sich gebracht hat. Und aus Norma Desmond wurde Charlotte (Keira Kneightley), ein Sternchen von heute, das sich frustriert in seine Luxusvilla zurückgezogen hat. Jordan (David Thewlis), ihr letzter loyaler Freund – und passende Entsprechung zu dem in „Sunset Blvd.“ von Erich von Stroheim gespielten Chauffeur Max von Mayerling – beschreibt die Situation der Schauspielerin mit den Worten: „Gäbe es nicht Monica Bellucci, wäre sie die am häufigsten vergewaltigte Frau im europäischen Kino.“

Die andere eindeutige Inspirationsquelle von William Monahans (Drehbuch-Oscar für Martin Scorseses „The Departed“) erster Regiearbeit bilden britische Gangsterfilme der 60er und 70er Jahre, vor allem „Performance“ von Donald Cammell und Nicholas Roeg sowie Mike Hodges’ „Get Carter“ mit Michael Caine. An letzterem – der kürzlich mit „Harry Brown“ noch einmal an seine legendäre Rolle von vor 40 Jahren anknüpfen konnte – scheint sich Colin Farrell in seinem Spiel orientiert zu haben. Von einem unübersehbaren fall guy-Einschlag seiner Figur einmal abgesehen.

Eigentlich wollte Harry ja nun ein neues Leben anfangen, aber schon als ihn sein alter Kumpel Billy (Ben Chaplin) am Gefängnistor abholt, ist eigentlich klar, dass sein Vorsatz nicht lange halten wird. Und zwar schon deshalb, weil der skrupellose Gangsterboss Gant (Ray Winstone) den beiden Kleinganoven ein zu verlockendes Angebot macht und droht, sich bei Ablehnung sowohl an Charlotte als auch an Harrys Schwester, Briony (Anna Friel), zu vergreifen. Und dann gibt es da noch die zwei Jugendlichen, die Harrys alten Freund, Joe, einfach so ermordet haben...

Schon von der Eröffnungssequenz an – einer unter den Klängen von „Heart Full of Soul“ von den Yardbirds ablaufenden und mit verschiedenen Bildformaten spielenden Montage – entwickelt Monahans Inszenierung einen Sog und eine Stimmigkeit, die das Interesse an seiner düsteren Geschichte um love, hate, murder and revenge über weite Strecken wachhält. Ein großes Verdienst gebührt dabei der Kameraarbeit von Chris Menges, dem Regisseur von „Zwei Welten“, der sowohl den Oberflächenreiz des Starrummels als auch die hintersten dunklen Ecken Londons schonungslos präzise ins Bild zu setzen versteht.

Doch ausgerechnet bei der Adaption fremder Vorlagen sowie beim sich zu eigen Machen von Vorbildern stößt Monahans Kunst an ihre Grenzen. Wirkte schon „The Departed“ sehr viel fahriger als die „Infernal Affairs“-Filme von Lau Wai-keung und Alan Mak, auf denen er basiert, so bleibt auch „London Boulevard“ deutlich hinter den in ihm zitierten Vorbildern zurück.

Was einerseits – angesichts von „Sunset Boulevard“, „Performance“ und „Get Carter“ – natürlich überhaupt keine Schande ist. Andererseits gibt es immer mal wieder Filme, die zeigen, dass es möglich ist, große Vorbilder auf kongeniale Weise in etwas - mehr oder weniger- Eigenes zu transformieren. Zum Beispiel: „Brügge sehen... und sterben?“, in dem sich Martin McDonagh - mit Colin Farrell in einer der Hauptrollen - seinen eigenen Reim auf Polanskis „Wenn Katelbach kommt...“ macht. Welcher sich seinerseits deutlich an Becketts „Warten auf Godot“ angelehnt hatte – und sich bis heute nicht dafür zu schämen braucht.