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Archiv-Artikel

Kongenial schnörkellos

ÜBERSETZUNG Mirjam Pressler erhält den Preis der Leipziger Buchmesse für ihre Übersetzung von Amos Oz’ Roman „Judas“ über die Anfangszeit Israels

Pressler vergleicht ihre Arbeit gern mit der eines Musikers, der eine fremde Komposition interpretiert

Der Einstieg: „Dies ist die Geschichte der Wintertage Ende des Jahres 1959, Anfang 1960.“ So einen schnörkellos-lapidaren ersten Satz muss man sich erst einmal trauen. Amos Oz findet von diesem unvermittelten Anfang zu einem fast zeitlos spröden Ton für seine Geschichte aus den frühen Jahren Israels mit dem abgründigen Titel „Judas“.

Oz erzählt vom asthmatischen Studenten Schmuel Asch, der aus plötzlicher finanzieller Not zum Vorleser für den bettlägrigen alten Gelehrten Gerschom Wald wird und schon bald beginnt, mit diesem angeregt über Zionismus oder den Konflikt zwischen Juden und Arabern zu sprechen. Und Oz erzählt von Schmuels Liebe zu Atalja Abrabanel, der Betreuerin von Gerschom Wald.

Der Roman ist zugleich eine Erinnerung an die Anfangszeit Israels – und eine Reflexion über theologische Fragen: So bricht Schmuel Asch sein Studium ab, als er an seiner Magisterarbeit mit dem Titel „Jesus in den Augen der Juden“ verzweifelt. Die Fragen aber bleiben.

Dass das karg-elegante Hebräisch von Oz sich auch im Deutschen nachvollziehen lässt, ist das Verdienst von Mirjam Pressler. Als Übersetzerin hat sie unter anderem Zeruya Shalev, Aharon Appelfeld und Lizzie Doron übertragen. Pressler selbst vergleicht ihre Arbeit gern mit der eines Musikers, der eine fremde Komposition interpretiert. Und musikalisch ist ihre Fassung von „Judas“ allemal geraten.

Womöglich verdankt sich ihre Sensibilität für die selbstverständliche Klarheit eines Romans wie „Judas“ zudem ihrem eigenen literarischen Schaffen als Autorin von Jugend- und Kinderbüchern, für die sie mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet wurde.

Auch in Leipzig bekam sie schon zweimal eine Ehrung: 2002 für ihren Jugendroman „Malka Mai“ und 2004 für ihr Lebenswerk. Jetzt erhielt sie für ihre virtuose Vermittlungsarbeit an „Judas“ den Preis in der Kategorie Übersetzung.

Die Jury gab Pressler damit den Vorzug vor Moshe Kahns zwölfjähriger Mammutarbeit an Stefano D’Arrigos „Horcynus Orca“, Klaus Binders Prosafassung von Lukrez’ „Die Ordnung der Dinge“, Elisabeth Edls Übertragung von „Gräser der Nacht“ des Nobelpreisträgers Patrick Modiano und Thomas Steinfelds Neuübersetzung von Selma Lagerlöfs Kinderbuchklassiker „Nils Holgerssons wunderbare Reise durch Schweden“.

Gemeinsam mit Amos Oz kam Mirjam Pressler auf die Bühne, um sich zu bedanken, weil er „ein wunderbares Buch“ geschrieben habe. Oz erwiderte: Ein literarisches Werk zu übersetzen sei so, als würde man ein Violinkonzert auf einem Klavier spielen. Und Pressler sei eine große Pianistin. taz-Literaturredakteur Dirk Knipphals hob in seiner Laudatio den Ton Presslers hervor: „Hier kling nichts nach Übersetzung.“ Nicht zuletzt ist die Auszeichnung eine schöne Fügung für das Gastland Israel.

TIM CASPAR BOEHME