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Archiv-Artikel

Joints gegen den Schmerz

HEILMITTEL In vielen Ländern ist Cannabis ein legales Medikament. In Deutschland brauchen Patienten dafür eine Ausnahmegenehmigung. Die Droge wirkt gegen viele Krankheitssymptome, birgt aber auch Risiken

Cannabis

Cannabis ist der wissenschaftliche Name der Pflanzengattung Hanf.

■ Hanf gilt als eine der ältesten Nutz- und Zierpflanzen der Welt. Neben der Funktion als Heil-, Faser- und Ölpflanze wird Hanf auch als Rauschmittel genutzt.

■ THC (Tetrahydrocannabinol) ist der Hauptbestandteil von Cannabis. Es ist für die meisten pharmakologischen Wirkungen, darunter die psychischen Effekte, verantwortlich.

■ Cannabidiol (CBD), der zweite wichtige Inhaltsstoff, wirkt entkrampfend und entzündungshemmend.

■ Haschisch ist ein Rauschmittel, das aus dem Harz weiblicher Hanfpflanzen gewonnen wird.

■ Marihuana wird aus getrockneten Cannabisblüten hergestellt.

VON MAI-BRITT WULF

Er ist kein gewöhnlicher Kiffer. Trotzdem möchte der 27-Jährige seinen Namen zum Thema Cannabis lieber nicht in der Zeitung lesen. Der Konsum der grünen, harzigen Blüten hilft ihm dabei, seine Krankheit zu ertragen. „Ich leide seit meinem 9. Lebensjahr unter Epilepsie und muss seitdem Medikamente nehmen“, sagt er. Das Cannabis mache die Nebenwirkungen der Arzneimittel erträglich. Symptome wie Übelkeit, unwillkürliche Zuckungen, sein Reizdarmsyndrom und Depressionen könne er minimieren. „Kein anderes Medikament hilft mir in meiner Situation so nebenwirkungsarm und effektiv wie es die Wirkstoffe des Cannabis in Verbindung mit weiteren verschreibungspflichtigen Medikamenten tun.“

Dass sein Arzneimittel noch immer illegal ist, ärgert den 27-Jährigen. Er unterstützt deshalb die Online-Petition Hanf. Darin wird eine Zulassung und Kostenübernahme von Cannabismedikamenten durch die Krankenkassen gefordert. Der Mediziner Franjo Grotenhermen initiierte die Aktion im August 2014 und rief die Bundesregierung dazu auf, Strafverfolgung von Betroffenen, die eine Selbsttherapie in Begleitung des Arztes durchführen, zu unterlassen.

Bisher können Patienten Cannabis nur mit einer Ausnahmegenehmigung der Bundesopiumstelle in der Apotheke kaufen – im Rahmen einer ärztlich überwachten Selbsttherapie. Trotz der schmerzstillenden Wirkung ist der Anbau in Deutschland auch für Kranke illegal. Der Kauf beim Dealer ist nicht nur verboten, sondern auch gefährlich, da Patienten die Wirkstoffkonzentration der Droge nicht kennen.

In Niedersachsen und Bremen haben nur 29 Patienten eine Ausnahmegenehmigung. Bundesweit sind es 382 Menschen. Aber die Blüten sind teuer und die Kosten werden in der Regel nicht von den Krankenkassen übernommen. Das will Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) ändern. Er sprach sich vor Kurzem dafür aus, dass die Kassen das Medikament bezahlen sollen. Das Ministerium arbeite an einer Regelung.

In Deutschland wurde erstmals 2011 ein Cannabispräparat arzneimittelrechtlich zugelassen und ist somit erstattungsfähig – allerdings nur für die Behandlung von schweren Spastiken bei Multipler Sklerose (MS). Ärzte können das Medikament auch anderen Kranken verschreiben, die müssen aber selbst zahlen. Das gleiche gilt für die wenigen Cannabis-Produkte wie Dronabinol und Nabilon, die zwar nicht als Arzneimittel gelten, in Deutschland aber legal sind. Mediziner können die Präparate zwar verschreiben, doch die Patienten tragen die Kosten von mehreren hundert Euro pro Monat selbst.

Cannabispräparate werden seit Jahrhunderten von vielen Kulturen zu therapeutischen Zwecken verwendet. In Europa wurden sie bereits Ende des 19. Jahrhunderts zur Behandlung von Schmerzen, Spasmen, Asthma, Schlafstörungen, Depressionen und Appetitlosigkeit genutzt. Jedoch verloren diese Arzneien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts an Bedeutung, da es nicht gelang, die chemische Struktur der Inhaltsstoffe der Pflanze zu entschlüsseln.

Auch wegen der berauschenden Wirkung verschwanden die Arzneimittel aus den Regalen der Apotheken. Als 1964 der wichtigste Inhaltsstoff von Cannabis definiert werden konnte und später die Entdeckung des körpereigenen Cannabinoidsystems folgte, war der Grundstein für die medizinische Erforschung der Pflanze gelegt. Heute sind zahlreiche Ärzte und Wissenschaftler überzeugt, dass Cannabis eine vielseitige medizinische Wirksamkeit hat.

Der menschliche Körper produziert selbst Botenstoffe, die ähnlich wirken wie Cannabis. Sie heißen Endo-Cannabinoide. An ihnen können die verabreichten Cannabis-Wirkstoffe andocken. Der Rezeptor CB1 sitzt im zentralen Nervensystem und zahlreichen Organen. Er lindert Stress, Unruhe und Angst. Der Rezeptor CB2 kommt in den Immunzellen von Lunge und Darm vor und wirkt entzündungshemmend. Cannabis wirkt schmerzstillend und beruhigend, unterdrückt Brechreiz und Übelkeit.

Mediziner sprechen Cannabis zudem eine nervenschützende Wirkung zu. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Schwindel, Müdigkeit, Mundtrockenheit und psychische Effekte. Denen gegenüber entwickelt der Körper meist schnell einen Gewöhnungseffekt.

Trotzdem bleibt Cannabis umstritten. Bisher gibt es zu wenige aussagekräftige Studien. Mediziner diskutieren, ob starker Cannabiskonsum langfristige Auswirkungen auf die kognitive Leistung hat. Gerade bei Jugendlichen wird von einer Cannabis-Therapie abgeraten. Einige Studien kommen zu dem Ergebnis, dass sich bei Jugendlichen das Risiko einer Schizophrenie verdoppelt, wenn sie Cannabis konsumieren.

In den USA zeigte sich, dass Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung gut auf eine Cannabis-Therapie ansprachen. Auch bei neurologischen Erkrankungen wie Tourette oder ADHS erreichen Cannabis-Behandlungen eine positive Wirkung. So werden die Tics bei Tourette-Patienten gelindert. Cannabinoide senken den Augeninnendruck, daher wird Cannabis bei Glaukom-Patienten verwendet. Auch bei Aids, Depressionen, Darmerkrankungen und den Nebenwirkungen von Chemotherapien, wie Übelkeit und Erbrechen, ist erprobt, dass Cannabis gut helfen kann.