: Baden gehen
STADTENTWICKLUNG Mit dem Haubentaucher soll eine schicke Pool-Landschaft auf dem sonst so schrabbeligen RAW-Gelände entstehen
■ Das RAW-Gelände an der Revaler Straße in Friedrichshain ist ein buntes Biotop, in dem sich diverse Clubs, Konzerthallen, Kneipen und Projekte aller Art befinden. Auf dem Gelände findet am Wochenende ein Foodmarket und ein Flohmarkt statt, es gibt eine Skatehalle und einen Kletterturm, ein Freiluftkino und Proberäume.
■ Das ehemalige Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) „Franz Stenzer“ wurde von seinem Besitzer, der Vivico Real Estate GmbH, mit Genehmigung des damaligen Bezirksamts Friedrichshain 1998 dem Verein RAW-tempel e. V. zur Zwischennutzung zur Verfügung gestellt. Der Verein machte aus dem Gelände eine Spielwiese für kulturelle Nutzungen aller Art.
■ Schon seit 2001 jedoch geistern Pläne umher, das Gelände mit Wohnungen bebauen zu lassen. 2007 wurde das Areal an eine deutsch-isländische Investorengruppe verkauft, die sich irgendwann zerstritt und das Gelände unter sich aufteilte. Erst vergangene Woche hat der isländische Investor seinen Teil weiterverkauft: an ein deutsches Wohnungsbauunternehmen.
VON ANDREAS HARTMANN
In Christoph Caspers Atelier bollert ein Holzofen, überall steht Gerümpel herum, diverse Bücher stapeln sich auf einem kleinen Tischchen. Casper ist Künstler, „oder so etwas Ähnliches“, wie er selbst sagt. Vor allem aber ist er engagiert bei der Initiative Raw.Kulturensemble und er ist Mitglied im RAW-tempel e. V., einem Verein, der sich schon seit über fünfzehn Jahren darum bemüht, das RAW-Gelände, dieses bunte Areal an der Warschauer Brücke Ecke Revaler Straße in Friedrichshain, gegen alle Ansinnen, das Grundstück im großen Stil aufzuwerten, zu verteidigen.
Caspers Atelier, das trotz des Durcheinanders auch eine Art Büro ist, befindet sich in einem der wenigen Häuser, die dem RAW-tempel noch verblieben sind, nach diversen Deals von immer wieder wechselnden Eigentümern des RAW-Geländes und dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg.
Eben erst wurde ein Teil des Geländes für 20 Millionen Euro erneut von einer Investorengruppe an eine andere verkauft, an ein Wohnungsbauunternehmen. Das RAW-Gelände ist die vielleicht heißeste Spekulationsfläche Berlins derzeit. Zwar hat erst im vergangenen Jahr die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg beschlossen, die Bebauung des Geländes mit Wohnungen, wie es die Eigentümer planten, zu untersagen. Doch Casper meint, dass das so viel nicht bedeuten müsse. Gleich mehrere Optionen, Bebauungspläne irgendwann doch noch durchzusetzen, gebe es für findige Investoren trotz der Beschlüsse der Bezirksverordnetenversammlung. Vor allem in einer Stadt wie Berlin, die regelrecht nach Bebauungsflächen für Wohnungen giert.
Ein neues Publikum
Casper fühlt sich aber auch ohne durchgesetzte Investorenträume immer fremder auf dem weitläufigen RAW-Gelände. Auf den etwa 70.000 Quadratmetern dort prägten Clubs wie der Suicide Circus und eine Konzerthalle wie das Astra dessen Image, ein Hotspot für die typischen Berliner Partypeople zu sein. Doch inzwischen zieht die vor einem halben Jahr auf dem Gelände eröffnete Neue Heimat mit ihren Street-Food-Ständen und DJ-Lounges ein neues Publikum auf das Gelände: Hipster statt Freaks, Familien statt Druffies.
Und wenn man nun die Computersimulationen des neben dem Astra gelegenen Projekts Haubentaucher betrachtet, auf das Christoph Casper einen guten Blick aus seinem zugigen Fenster haben wird, versteht man seine Befürchtung, dass die Neue Heimat nichts ist gegen das, was nun kommen wird. Mitten in dieses schrabbelige RAW-Areal, das an jeder nur erdenklichen Stelle mit Graffiti zugebombt ist, soll demnach eine Las-Vegas-Pool-Party-Atmosphäre mit einem Schuss Prenzlauer-Berg-Biedermeier gebeamt werden? Kann nicht sein, oder?
Wohl schon. Bereits Ende April sollen dort, wo sich zur Fußballweltmeisterschaft 2006 das „11-Freunde-WM-Studio“ befand, ein beheizter Swimmingpool, eine „Garden Lounge“, eine „Urban Bar“ und Ähnliches eine – so die Selbstanpreisung – „neue Oase für Berlin“ bilden. Hängematten, Schaukeln, Palmen, Sandflächen und Lounges unter weinbewachsenen Dächern dürfen Gäste in Bikini und Badehose hier erwarten. Außerdem auch mal einen Jazz-Brunch, Yoga und Ähnliches von dem, was der urbane Berliner von heute sich eben so wünscht. Die Bild-Zeitung fasst das Drohpotenzial der neuen Location mit den Worten zusammen, der Haubentaucher werde „das neue Hipsterzentrum“ Berlins.
Bedrohtes Refugium
Bislang war Friedrichshains Kiezcharakter ein wenig indifferent. Der Bezirk galt als Gegend für Studenten, Partypeople oder auch Touristen, die versuchen, am Türsteher des Berghains vorbeizukommen. Außerdem als Refugium für Berlins letzte Punks, für die es jedoch aufgrund immer mächtigerer Gegner wie etwa der Friedrichshainer Initiative gegen Hundekot in ihren letzten Schutzgebieten auch nicht einfacher wird.
Das RAW-Gelände aber hat bisher immer noch ein wenig dazu beigetragen, dass Friedrichshain auch dann noch als widerspenstiger Bezirk galt, als die O2-World, die Ausbreitung von Mediaspree und die Billigbrunchmeile Simon-Dach-Straße den Kiez immer stärker prägten. Inzwischen hängen vor dem RAW an jeder Ecke die aus dem Görlitzer Park vertriebenen Dealer herum und warten auf die nächste nutzlose Razzia, wodurch immerhin vielleicht einer weiteren Aufwertung des Bezirks getrotzt wird.
CHRISTOPH CASPER VOM RAW-TEMPEL
Nicht nur den Dealern wird nicht gefallen, dass die Betreiber des Haubentauchers Überwachungskameras und einen Wachschutz angekündigt haben. Casper sieht den Charakter des gesamten Geländes in Gefahr. Mit dem Haubentaucher drohe die „Kommerzialisierung des RAW-Geländes“ und die „kulturelle Gentrifizierung“ desselben, glaubt er.
Jan Denecke, einer der vier Betreiber des Haubentauchers, sieht das freilich völlig anders. Er lebe seit fünfundzwanzig Jahren in Berlin, sagt er im Gespräch, und er habe die Stadt immer dafür geschätzt, dass sie ungewöhnlichen Projekten Raum gebe. Und ein ungewöhnliches Projekt, genau das sei seine geplante Mischung aus Lounge und Freibad nun mal. Außerdem sagt er: „Wir wollen auch niemanden verscheuchen und wir gentrifizieren nicht.“
„Im Vergleich zu den geplanten Wohnhäusern sind Neue Heimat und Haubentaucher das kleinere Übel“, gibt Christoph Casper dann auch zu. Dennoch wirkt er nicht so, als würde er noch an eine Zukunft des Geländes in dem Sinne, wie er und sein Verein sich das vorstellen, glauben. „Die basiskulturelle Nutzung“, die er sich für eines der schillerndsten Areale Berlin wünscht, „verschwindet nach und nach.“
Außerdem seien viele der Betreiber der einzelnen Locations auf dem RAW-Gelände untereinander verstritten. Die vermeintliche Spaßarena RAW-Gelände ist in Wahrheit schon seit Längerem ein vermintes Gebiet, in dem jeder ums eigene Überleben kämpft.
Durch ein Loch im Absperrzaun kann man auf die Baustelle des Haubentauchers blicken. Man sieht den Pool, an einer Wand wurde ein riesiges Bild des namensgebenden Wasservogels gepinselt. Echter Glamour und „mediterranes Flair“, das die Betreiber des Haubentauchers versprechen, lässt sich bislang nicht erahnen. Vielleicht wird das Ganze auch ein Flop. Noch hat Christoph Casper zumindest diese Hoffnung nicht ganz aufgegeben.