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berliner szenen Amsterdam–Berlin

Ist das Liebe?

Sie ist ganz in Schwarz gekleidet. Ein Tuch verhüllt das schwarz-silberne Haar, verhüllt die Schultern. Ihn schmückt ein weißer Bart, und sein schlohweißes Haar ist mit einer Strickkappe bedeckt. Er trägt eine Jacke aus Leder, darunter eine aus Wolle und Flanellhosen. Solide verschnürte Pappkartons sind in die Gepäckablage gestapelt neben uralten Koffern.

Wie eine Impression aus dem Orientexpress sieht das aus, dies jedoch ist der IC Amsterdam–Berlin. Der betagte Herr versucht der betagten Dame Schafskäse im Fladenbrot und Oliven zu reichen. Sie aber will nicht essen und schiebt seine Hand beiseite. Das Paar streitet. Leise. Lange. Schließlich isst der Mann das Brot, isst die Oliven.

Später trägt der Herr seiner Dame erneut Essen an. Abermals weist die Frau ihn ab, dreht sich weg, verschwindet ganz im Wolltuch. Er insistiert. Sie streiten wieder. Da schlägt sie das Tuch zurück und nimmt die Nahrung. Sie isst alles auf. Nicht ohne Appetit, so scheint es, und verlangt weitere Oliven. Nach der Mahlzeit zieht die Greisin sich wieder ins Tuch zurück. Nach einer Weile streift der Mann eine Jacke ab und bedeckt seine Frau liebevoll, vorsichtig macht er das, zart. Sucht akribisch Luftlöcher. Stopft sie. Die Frau döst und wirft die Jacke plötzlich von sich. Es ist lausig kalt im Zug. Wieder bedeckt er sie, in liebevoller Weise, wieder macht sie sich frei, mit schroffen Gesten. So geht das weiter bis zum Berliner Hauptbahnhof.

Vielleicht ist die Frau schlecht gelaunt oder todmüde. Vielmehr allerdings scheint dies ein Ritual zu sein, ein seltsam harmonisches, trotz des Zwistes. Eines, das das Paar unzählige Male zelebriert zu haben scheint. Ist das ihre Art zu lieben?

GUNDA SCHWANTJE

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