KIM TRAU POLITIK VON UNTEN : Die Postgender-Ausrede
Der Frauenanteil in der ersten Piratenfraktion der Republik ist so gering wie der im Parlament von Somalia
Mit dem Erstarken der Piratenpartei flammt eine alte Debatte wieder neu auf: die Frage nach dem Sinn oder Unsinn von Quoten. Um es gleich zu sagen, ich bin für eine Frauen- oder Geschlechterquote und ich hätte kein Problem damit, eine Quotenfrau zu sein.
Aber der Reihe nach: Als die amerikanischen Siedler_innen gegen die britische Herrschaft revoltierten, ertönte immer wieder der Ruf „No taxation without representation“. Der Gedanke dahinter: Wer sich an einem Gemeinwesen beteiligt, etwa durch Steuern, deren_dessen Interessen sollten auch angemessen vertreten werden.
In Schweden findet sich eine ähnliche Idee im Bezug auf die Beteiligung von Frauen in und an der Politik. So vertreten selbst die konservativen Parteien die Ansicht: Frauen und Männer arbeiten grundsätzlich Hand in Hand, ihre Arbeit ist gleichwertig und dies hat sich auch in einer ausgeglichenen Anzahl von Frauen und Männern im Parlament widerzuspiegeln. Dementsprechend hat das schwedische Parlament mit 45 Prozent auch den vierthöchsten Frauenanteil der Welt. Der Bundestag liegt mit 33 Prozent auf Platz 19.
Erschreckend also, dass die Piratenpartei ins Berliner Abgeordnetenhaus mit 14 Männern und nur einer Frau eingezogen ist. Der Frauenanteil in der Piratenfraktion liegt damit gleichauf mit dem Parlament von Somalia. Den Versuch der Pirat_innen, diesen Vorwurf mit Verweis auf das Postgender-Konzept zu kontern, finde ich – bei aller Sympathie für ihre Anliegen – unerträglich. Postgender, also ein Zustand, in dem das Geschlecht keine Ursache für Diskriminierung oder Bevorzugung mehr ist, ist doch derzeit ein weit entferntes Ideal. Mit Verweis darauf die konkrete Förderung von Frauen, etwa durch eine Quote, zu verweigern, ist ein Zeichen dafür, dass viele Pirat_innen stärker in patriarchalen Denkweisen festhängen, als ihnen lieb ist.
Wenn es keine Quote gibt, dann nützt das nur Männern und niemandem sonst! Die grundsätzliche Kritik an allen Quoten ist zudem heuchlerisch und inkonsequent, denn unser ganzes Wahlsystem beruht auf Quoten: Wahlkreise und Landeslisten sorgen für eine geografische Quotierung der Abgeordneten. Niemand käme allerdings auf die Idee, diese Quote auf Grund ihrer Wahleinschränkung zu kritisieren. Bin ich in Berlin gemeldet, kann ich keine_n bayrische_n Abgeordnete_n wählen. Egal, wie gut sie_er mir gefällt.
Die Begründung für die geografische Quote ist, alle Regionen Deutschlands angemessen im Bundestag zu repräsentieren. Und Frauen? Sind sie etwa mit 33 Prozent angemessen repräsentiert? Wohl kaum. Was beim Länderproporz mit statistischer Genauigkeit möglich ist, gilt eben nicht für Frauen. Beim Geschlecht wird es nämlich ernst. Da versteht die holde Männlichkeit keinen Spaß mehr. Wenn es um die Macht geht, wird eben nicht gerne geteilt.
Und was würden Quoten eigentlich bedeuten für Trans*Leute, für Intersexuelle und für Leute, die sich geschlechtlich nicht festlegen wollen? Nichts, solange für sie die Quote nicht gilt. Aber angesichts der Tatsache, dass derzeit eh keine solche Person in einem deutschen Parlament sitzt, erscheint mir der Verweis darauf wie ein Ablenkungsmanöver – genau wie die ganze Debatte um den Postgender-Begriff.
■ Die Autorin studiert Geschichte in Uppsala Foto: privat