: Schärfste Waffe des Imperialismus
BURGER McDonald’s zum Vierzigsten: Wer Fast Food ablehnt, will Kulturbürger sein. Ein Essay
VON MICHAEL RUTSCHKY
Man war doch dagegen. Dieser in das weiche Brötchen eingeschlagene Hackfleischlappen erschien als Inbegriff einer barbarischen Ernährungsweise, der eine düstere Zukunft gehören würde.
Standardisierung: alle Gerichte würden immer einförmiger; irgendwann werden die Zutaten zu einem Brei vermahlen, der alles physiologisch Notwendige enthält, dann sind es nur noch Tränke, dann Pillen, die dem Sklavenheer verabreicht werden, das die unabänderliche Herrschaft des Kapitals sichert. „Schöne neue Welt“ aus dem Jahr 1932, ein schwarz utopischer Roman von Aldous Huxley, leitete hier die Zukunftsängste, Adorno hielt ihn für realistischer als den Totalitarismus von George Orwells „1984“. Unvorstellbar, dass das Brötchen mit Hackfleischlappen auf McWrap Grilled Chicken Honig-Senf hinauswollte, auf Big Rösti und Filet-o-Fish.
Aber ausgestorben ist die Kritik an McDonald’s und der globalen Verbreitung seiner standardisierten Speiseangebote unter den Kulturbürgern noch nicht. Unvergesslich der Widerstand, den vor ein paar Jahren ein Literaturprofessor meiner Nacherzählung von Jean-Claude Kaufmanns Soziologie der Mahlzeit entgegensetzte. Ihr zufolge ist das eigentliche Instrument der Disziplinierung, ja der Repression, das bürgerliche Familienessen, bei dem die Kinder still zu sitzen, alles aufzuessen und nur zu reden haben, wenn sie gefragt werden.
Da kann der Gang zu McDonald’s ein Akt der Befreiung sein. So sieht man es in „Fargo“, der schwarzen Komödie der Coen-Brüder, wenn sich Scotty vom grässlichen Abendessen seiner Eltern verabschiedet, um zu McBurger und seinen Kumpels zu entfliehen, was sein obergrässlicher Großvater, ganz Patriarch aus dem 19. Jahrhundert, natürlich zu unterbinden trachtet.
Aber die Gleichförmigkeit des Fast Food, insistierte der Literaturprofessor, diszipliniert doch viel stärker als der tyrannische Großvater! (Man ahnt Foucault im Hintergrund.) Dass im Grunde alle Restaurants nach Rezepten, also Standards kochen, der Hinweis der Professorengattin ging spurlos unter.
McDonald’s, Fast Food und seine Konsumenten, in unseren Kreisen hört das nicht auf, als Allegorie zu wirken. Bekanntlich gründete sich als Slow Food eine richtige Gegenbewegung, die feines, sorgfältiges, individualisiertes Kochen als praktische Gesellschaftskritik betreibt. Als McDonald’s eine Filiale in Moskau und dann sogar eine in Peking eröffnete – jetzt fehlen nur noch Teheran und Pjöngjang –, eignete sich die Nachricht glänzend als Allegorie der Globalisierung. In der Gestalt des Fast Food unterwirft der Kapitalismus die lokalen Küchen, Lebensweisen, Kulturen. Entsprechend machte sich der Protest bemerkbar.
So auch in Berlin-Kreuzberg, als ein Hamburger-Restaurant eröffnete: Plötzlich erschien Döner Kebab als typische Speise aus der Altberliner Küche. Kulturelle Identität stiftend, während der globalisierte McBurger sie auflöst. Versteht sich, dass McDonald’s aus den USA kommt – diese Küche ist eine der schärfsten Waffen des amerikanischen Imperialismus, und man erkennt genau an der Verbreitung der Kette, wie weit er den Planeten schon unterworfen hat!
Aber besitzt sie wirklich noch viele Anhänger in unseren Kreisen, diese Kritik an McDonald’s? Oder handelt es sich inzwischen um abgesunkenes Kulturgut? 1971, als in München die erste deutsche Filiale eröffnete, war ich noch nicht da. Als ich seit 1979 dort lebte, war das fortgeschrittene Bewusstsein auf die Kritik verpflichtet; ich kannte eine Malerin, die ihre eigene bedeutende Kochkunst mit Hilfe von Adorno zu begründen pflegte, als Kapitalismus- und USA-Kritik. Die emanzipierte Gesellschaft, die befreite Menschheit wird McBurger als Nahrungsmittel verwerfen.
Was hier einen Wandel einleiten konnte, das waren die Forschungen des Meistersoziologen Pierre Bourdieu über die Distinktionsspiele, die in den Geschmacksurteilen die Klassenlage durchsetzen. Wer McBurger ablehnt, antizipiert damit nicht die befreite Menschheit, vielmehr zeigt er an, dass er sich zu den anspruchsvollen Kulturbürgern rechnen will. Keineswegs verpflichtet ihn diese Einsicht dazu, von nun an für diese merkwürdigen Gerichte zu schwärmen. Aber eine andere Aufmerksamkeit als die der Verachtung ist doch erwünscht.
■ Michael Rutschky, geboren 1943, ist Schriftsteller. Er studierte Soziologie, Literaturwissenschaft und Philosophie in Frankfurt, unter anderem bei Adorno und Habermas.