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Archiv-Artikel

Vorfreude aufs Koma

BIATHLON Der Ex-Olympiasieger Michael Rösch feiert bei der WM einen zweiten Frühling als Belgier

Doppel-Staffel-Gold

■ Die deutschen Biathleten, das ist die Erkenntnis der WM in Kontiolahti, sind zurück an der Weltspitze. Die Wiederauferstehung nach katastrophalen Olympischen Spielen wurde in Finnland mit Siegen in beiden Staffel-Rennen gekrönt. Erik Lesser, Daniel Böhm, Arnd Peiffer und Simon Schempp distanzierten am Samstag die Favoriten Norwegen und Frankreich. Noch sensationeller war der Erfolg von Franziska Hildebrand, Franziska Preuß, Vanessa Hinz und Laura Dahlmeier mit einer Minute Vorsprung vor Frankreich und Italien.

KONTIOLAHTI taz | Michael Rösch sitzt im Biathlon-Stadion von Kontiolahti im Restaurant und denkt zurück an die Ankunft in Finnland. „Scheißwetter, tiefe Bedingungen – und das, wo ich doch relativ schwer bin“, erinnert sich der 31-Jährige an den unwirtlichen Empfang. Dem Trübsinn entkam er vor dem ersten WM-Rennen dank seinem früheren Trainer Wilfried Bock. „Der hat mir vor dem Sprint eine schöne SMS geschickt. Die hat mich aus meinem Schneewittchenschlaf geholt“, schmunzelt Rösch. Denn: „Mir fehlte schon der letzte Kick. Und der kam dann.“

Der Kick half dem Mann, der seit einem Jahr für das Biathlon-Entwicklungsland Belgien zum professionellen Scheibenschießen antritt, auf die Plätze 21 (Sprint), 23 (Verfolgung), 13 (Einzel) – und die Zulassung zum finalen Massenstart, zu dem nur den besten 30 Skijägern Zutritt gewährt wird, am Sonntag (nach Redaktionsschluss).

„Dass ich es hier in den Massenstart geschafft habe, dafür kann ich mir schon auf die Schulter klopfen“, findet das letzte aktive Mitglied der olympischen Gold-Staffel des Deutschen Ski-Verbandes (DSV) von 2006. Damals, mit 22 Jahren, galt Rösch als größtes Talent im deutschen Biathlon. Private Probleme, falsche Entscheidungen, ein Hausbau in Altenberg, wo er immer noch wohnt, der ihm damals aber über den Kopf wuchs, ließen die Leistungen des Sachsen absacken. Vom Rauswurf aus dem DSV-Kader im Frühjahr 2012 erfuhr er aus dem Internet.

Auch bei der Belgierwerdung lief nicht alles rund – und als seine neue Nationalität am 27. Januar 2014 schließlich amtlich war, war es zu spät für die Teilnahme an den Sotschi-Spielen. Es wäre der passende Motivationsschub gewesen für Rösch, der sich zwar aus seinem tiefsten Loch herausgekämpft hat, an dem die anstrengende Suche nach Sponsoren, Trainingspartnern und erfolgversprechenden Rahmenbedingungen aber zugleich mächtig nagt. „Für mich geht es momentan nicht um Talent und Fleiß, sondern einfach nur um Durchhaltevermögen“, sagt Rösch, der aber Licht am Ende des Tunnels sieht. „Ich bin“, sagt er mit einem Blick aus dem Fenster in Richtung Schießstand, „bei Weitem noch nicht heraus aus dem Tal – aber auf einem guten Weg.“ Das hat er mit seinen Leistungen in Kontiolahti eindrucksvoll bewiesen – doch das soll nur der Anfang gewesen sein. Olympia 2018 heißt das Ziel.

Nach dem Weltcup-Finale am nächsten Wochenende in Chanty-Mansijsk will er sich erst mal „ins Koma saufen“, dann zu Hause „ein bisschen Sofa hüten“ – und anschließend die Pläne für den nächsten Winter schmieden. „Oslo und Hochfilzen“, sagt Michael Rösch, „sind ja schöne Weltmeisterschaften in den nächsten Jahren. Deshalb bin ich hoch motiviert.“ ANDREAS MORBACH