Da wackelt die Hürde

Das Bundesverfassungsgericht prüft in Karlsruhe, ob die geltende Fünf-Prozent-Hürde in Schleswig-Holstein verfassungsgemäß ist

VON ESTHER GEISSLINGER

„Ein bisschen wie David gegen Goliath“, sagte der Pressesprecher der SSW-Landtagsgruppe Lars Erich Bethge über das Verfahren, das gestern vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe begann: Die Landesverbände der Grünen und der Linken in Schleswig-Holstein klagen dort gegen den Kieler Landtag. Sie fordern, dass die Fünf-Prozent-Klausel bei Kommunalwahlen fällt. Schleswig-Holstein würde dann mit der Mehrheit der Bundesländer gleichziehen: Zurzeit gilt die Regelung noch im Saarland und in Thüringen sowie in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg.

Eine Entscheidung fiel gestern noch nicht, aber Bethge, der als Beobachter nach Karlsruhe gefahren war, schätzt die Chancen der kleinen Parteien gut ein: „Das Gericht ist sehr offen in der Frage.“ Auch die Grünen, die die Klage angestoßen haben, sind optimistisch: „Ich habe den Eindruck, dass eine reale Chance besteht“, sagte der Vorsitzende der Landtagsfraktion, Karl-Martin Hentschel. „Der Landtag und die Landesregierung sollten sich darauf einstellen, dass das von uns erhoffte Urteil bei der Kommunalwahl im Mai 2008 berücksichtigt werden muss.“

Auffallend sei, sagte Bethge, dass der Bevollmächtigte des Landtages, Wolfgang Ewer, vor allem mit formalen Einwänden argumentierte: Die Entscheidung sei allein Sache des Landtags – Parteien, die bei einer Abstimmung verloren hätten, könnten nicht jedes Mal ein Gericht anrufen. Das Parlament habe das Recht, selbst einzuschätzen, ob die Sperrklausel für die Handlungsfähigkeit der Kommunalparlamente notwendig ist. Die Grünen – unterstützt von den Linken – hatten Klage eingereicht, nachdem CDU und SPD im Landtag eine Änderung des Landeswahlgesetzes abgelehnt hatten. Das sei eine „Wahlrechtsmanipulation“, hatte der SPD-Innenexperte Klaus-Peter Puls bei der Debatte gesagt. Die kleinen Parteien könnten nicht verlangen, dass die großen sich „selbst beschneiden“. Außerdem fürchten CDU und SPD, dass extremistische Splittergrüppchen in die Gemeinderäte einziehen.

Kein Argument, findet Günther Hildebrand, FDP: „Die ewig gleiche Leier, die Klausel sei notwendig, damit die kommunalen Vertretungen handlungsfähig bleiben, zieht schon lange nicht mehr.“ Das bestätigte das Gericht: Der Vorsitzende des Zweiten Senats, Winfried Hassemer, verwies auf die durchaus funktionierenden Gemeindeparlamente in anderen Bundesländern: „Soweit man hört, überleben diese Länder immer noch.“

In Schleswig-Holstein ist die Lage sogar undramatischer als in anderen Ländern: 95 Prozent der über 1.100 Gemeinden wären von einer Änderung gar nicht betroffen. In den kleineren Orten sind nur neun Gemeinderatssitze zu verteilen – die gehen meist an die Großen oder kommunale Wählervereinigungen jenseits der etablierten Parteien. „Interessant ist eine Änderung vor allem bei Kreistagen und in den größeren Städten“, sagt Bethge. Der Rechtsanwalt der Bündnis-Grünen, Burkhard Peters stellte fest: „Das Gericht hat sich ausführlich mit der Sache beschäftigt. Dies stimmt uns zuversichtlich, dass die Klage nicht anhand der rein formalen Einwände der Gegenseite entschieden wird.“

Der SSW, die Vertretung der dänischen und friesischen Minderheit, muss um die Fünf-Prozent-Klausel eigentlich nicht zittern: Er tritt nur im nördlichen Landesteil an und fährt dort regelmäßig Rekordergebnisse ein. „Aber wir finden eine Änderung demokratischer“, sagt Bethge. Nur in wenigen Kreisen könnte der SSW profitieren: „Das ist uns aber erst kürzlich aufgefallen.“ Das Argument, Rechte könnten in die Gemeinderäte einziehen, trage nicht: „Wenn Parteien zugelassen sind, müssen die anderen sich auf demokratischem Weg mit ihnen auseinander setzen.“ Eine Entscheidung wird vermutlich im Februar fallen. Kippt die Fünf-Prozent-Klausel, könnte die Neuregelung tatsächlich schon bei der Kommunalwahl im Mai angewendet werden.