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Archiv-Artikel

Helmut erzählt vom Krieg

PARTEITAG Die SPD feiert einen Ansturm auf den Parteitag, ihren rauchenden Altkanzler und sich selbst als europapolitische Partei – und zittert vor den kommenden Tagen

„Deutschland löst neuerdings Unbehagen und politische Besorgnis aus“

HELMUT SCHMIDT, KANZLER A. D.

VON GORDON REPINSKI

BERLIN taz | Erst einmal ging gar nichts. Noch bevor das erste Wort des SPD-Parteitags gesprochen war, standen sich die Delegierten auf den Füßen, die Gänge waren überfüllt, die Luft war stickig. „Da hatten wir ja bei manchem Landesparteitag ’ne größere Halle“, sagt eine Frau hinter den letzten Sitzreihen. Die SPD: neuerdings wieder ein Straßenfeger.

Wer jetzt boshaft wäre, würde sagen: Das Bild wollte sie auch vermitteln. In den Tagen vor dem Parteitag überschlugen sich die Meldungen, dass immer mehr Anmeldungen im Willy-Brandt-Haus eingingen. Zuerst waren es 6.000, dann 7.500, auf einmal waren die 8.000 Anmeldungen überschritten – für eine Halle, der „Station“ in Berlin-Kreuzberg, die dafür freilich nicht ausgelegt war.

Dass alle so pünktlich kamen, hatte natürlich einen Grund: Gegeben wurde die erste Rede von Altbundeskanzler Helmut Schmidt auf einem SPD-Parteitag seit 13 Jahren. Manche in der SPD haben diesen Moment gefürchtet. Denn Schmidt ist unberechenbar und hat sich durch seinen Teil in der Steinbrück-Show nicht nur Freunde gemacht.

Deswegen waren sie auch alle ganz dankbar darüber, dass der fast 93-Jährige über Deutschlands aktuelle Rolle in Europa sprach. Okay, er hat einen Schlenker gemacht, einen sehr weiten Schlenker. Im Schnelldurchlauf könnte man den so zusammenfassen: Seit dem Dreißigjährigen Krieg, Ludwig dem Vierzehnten, Napoleon und verschiedenen Dynastien bis zum Dritten Reich haben immer wieder Kriege auf deutschem Boden stattgefunden. Deswegen darf es keine nationalen Sonderwege geben.

Vor allem nicht beim Euro: „Das Gerede von einer Krise eines Euro ist leichtfertiges Geschwätz von Medien, Journalisten und Politikern“, sagte Schmidt. „Wenn wir die Hoffnung haben wollen, dass wir Europäer eine Bedeutung haben für die Welt, dann geht das nur gemeinsam.“

Es folgte der Angriff auf Kanzlerin Angela Merkel: „Deutschland löst neuerdings Unbehagen und politische Besorgnis aus“, sagte er und äußerte „erhebliche Zweifel in die Stetigkeit politischen Handelns“.

Das kam gut an. Geradezu euphorisch wurde die Halle, als sich Schmidt Unions-Fraktionschef Volker Kauder vornahm. Der hatte jüngst gepoltert, in Europa werde Deutsch gesprochen. Das sei „schädliche, deutschnationale Kraftmeierei“, so Schmidt. Donnernder Applaus, Schmidt hebt seine Hand, will schnell weitermachen, aber das Publikum johlt. Frontalkritik am Gegner ist halt auch bei einem Altkanzler das süße Bonbon eines jeden Parteitags.

Auch Frank-Walter Steinmeier nahm sich Kauder am Nachmittag zur Brust: „Entgleisungen wie die von Kauder durchgehen zu lassen“, so der Fraktionschef, „sagt mehr als tausend nichts sagende Regierungserklärungen.“

Steinmeier hatte keine leichte Aufgabe: Als erster der drei potentiellen Kanzlerkandidaten sprach er bereits am Sonntag. Und da es nach Schmidt die zweite Rede war, die sich mit Europa beschäftigte, erschien einiges, als habe man es schon mal gehört. In der Aussprache bezogen sich die meisten Redner jedenfalls eher auf Schmidt als auf Steinmeier.

Inhaltlich diskutierte die SPD bis in den Sonntagabend hinein, wie die Europapolitik genau aussehen soll. Ob die finanzielle Rettung des Kontinents eher durch Eurobonds geschehen soll? Oder indem die EZB gezielt Staatsanleihen aufkaufen soll? In der Resolution, die Parteichef Sigmar Gabriel zusammen mit Steinmeier und Europapolitiker Martin Schulz ausgearbeitet hatte, fanden sich am Vormittag noch beide Lösungen.

Schulz warb für sein Thema: „Die SPD ist die Europapartei“, sagte der Vorsitzende der sozialistischen Fraktion im Europäischen Parlament. Es brauche eine „sozialdemokratische Alternative“ zu den erzkonservativen Regierungen „der Merkels und Sarkozys“.

Der Sonntag war trotz schwerer Themen eine Art lockeres Einlaufen in den Parteitag. Am Montag muss sich Parteichef Sigmar Gabriel zur Wiederwahl stellen, in der Folge stehen strittige inhaltliche Fragen an.

Im Zentrum: Wo gibt es den kontrollierten Ruck nach links? Gibt sich der Parteitag mit der Abschaffung der Abgeltungsteuer zufrieden? Oder kommt doch noch die Revolte in der Rentenpolitik? Da wollen Parteilinke die Stabilisierung des Rentenniveaus bis zum Jahr 2030 erreichen.

So oder so: Weitgehende Zugeständnisse dürften mindestens dem möglichen Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück nicht schmecken. Auf einen Eingriff in der Rentenpolitik am Montag könnte er immerhin noch reagieren. Er spricht erst am Dienstag als letzter der drei möglichen Kanzlerkandidaten.

Dann wird man auch wissen, ob es so kommt, wie Hannelore Kraft zu Anfang des Parteitags vorhersagte: „Die Schlagzeilen werden sein: SPD ist geschlossen – Parteitag erfolgreich beendet.“

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