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Archiv-Artikel

WENN DURCH DEN MINDESTLOHN DIE SPARGELPREISE STEIGEN, KANN DEN WOCHENMARKTGÄNGERN KEINER VERÜBELN, WENN SIE IHR STANGENFÖRMIGES GRUNDNAHRUNGSMITTEL ANDERSWO BEZIEHEN. ODER DOCH? Auf den Feldern, wo sie den Hals nicht vollkriegen

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Die Vereinigung der Spargelanbauer in Niedersachsen“, meldet der Norddeutsche Rundfunk, „schlägt Alarm.“ Was ist geschehen? Welche Gefahr droht dem Liebhaber des Edelgemüses? Es ist der Mindestlohn, der den Spargelerntern ab jetzt gezahlt werden muss: Sieben Euro vierzig pro Stunde, nächstes Jahr sogar acht fünfzig, da sticht sich der Mensch ja reich bei. Ich habe selbst mal Spargel gestochen, grünen Spargel allerdings, der aus der flachen Erde rauswächst, eine Saison lang, da war ich achtzehn und dachte nach meiner ersten Stunde, ich würde lieber sterben, als diese Höllenarbeit noch sieben weitere Stunden machen zu müssen und dann sechs weitere Tage und so weiter und so fort.

Gut, ich war nicht gerade für die Feldarbeit geboren, ich hatte auch sonst keine Neigung zur körperlichen Anstrengung, besaß kaum Muskulatur und irgendwie habe ich diese Spargelstechsaison tatsächlich sogar ohne größere Ausfälle überstanden. Aber an den Rückenschmerz erinnere ich mich noch, den würde ich nie vergessen, der ist in meinem Schmerzgedächtnis gespeichert für die Ewigkeit. Ich habe viele nicht ganz so schöne Arbeiten gemacht, in der Landwirtschaft, in der Fleischindustrie und auch in der Reinigungsbranche, aber wenn mir einer heute anbieten würde, für sieben Euro vierzig Spargel zu stechen, dann würde ich glatt „Nö“ sagen.

Natürlich auch deshalb, weil ich mir das gerade erlauben kann. Natürlich können sich alle Leute, die Spargel stechen gehen, das nicht erlauben. Deshalb machen sie das ja. Deshalb haben sie das bisher offensichtlich für sechs Euro neunzig gemacht und ehrlich, ich finde das unfassbar! Einmal S-Bahn fahren in Hamburg kostet drei Euro zehn. Ein Bier in der Kneipe drei Euro fünfzig, Kino schon mal elf Euro. Was für ein Leben kann einer eigentlich noch führen, wenn er für sechs Euro neunzig die Stunde arbeiten geht?

Und wenn das dann jetzt so ist und die Kosten für die Bauern sich angeblich um acht bis zehn Prozent erhöhen, der Kilogrammpreis auf dem Wochenmarkt um fünfzig bis achtzig Cent, dann zahlt also der Wochenmarkteinkäufer einen Euro sechzig mehr für seine zwei Kilo Spargel, die er sich am Sonntag mit Schinken und neuen Kartoffeln reinhaut. Das ist für den Wochenmarktbesucher freilich eine echte Katastrophe: Wie wir wissen, ist Spargel ein Grundnahrungsmittel, ganze Familien ernähren sich von März bis Juni nur davon. Wie sollen die dann die gestiegenen Kosten aufbringen? Wann sollen sie noch ins Kino gehen oder wie ihr Bier bezahlen, wenn sich da jetzt Tag für Tag solche Mehrkosten für Spargel ergeben?

Natürlich ist es nicht so. Natürlich ist es so, dass jetzt alle nach Polen fahren und da den Spargel einkaufen. Oder nein, das brauchen sie nicht. Sie können bei Aldi und Lidl den Spargel aus Chile und Mexiko, von den kapverdischen Inseln, aus Peru oder der Antarktis einkaufen. Der kostet quasi fast gar nichts, weil in diesen Ländern die Arbeiter die richtige Einstellung haben. Die sind nicht so geldgierig eingestellt wie die, die wir hier auf unseren Spargelfeldern haben. Die schiffen das dann auch noch für umsonst hier rüber und schenken es Rewe, damit der deutsche Büromensch, der seine siebzehn Euro fünfundsiebzig in der Stunde verdient und auch nichts zu verschenken hat, echt nicht, in der Spargelzeit auch Spargel essen kann.

Am Ende verkauft dann der niedersächsische Spargelbauer seinen Spargel gar nicht mehr, weil der Wochenmarkteinkäufer nicht mehr willig ist, solche Wucherpreise mitzutragen. Es ist wohl einzusehen, dass der Spargelstecher, der hier den Hals nicht vollkriegen kann, schuld ist an allem.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Eine Nacht und alles“ erscheint dieser Tage bei Rowohlt Berlin.