: CDU zeigt ein bisschen Mut
Wende in der CDU-Bildungspolitik: Künftig soll es nur noch durchgängige Gymnasien und Stadtteilschulen geben. Doch so progressiv wie die Hamburger CDU mag man sich nicht geben
von Klaus Wolschner
Nach zweieinhalb Stunden Diskussion hat die Bremer CDU am vergangenen Freitag eine Wende in ihrer Bildungspolitik beschlossen: Das „Drei-Säulen-Modell“ von Haupt- und Realschulen und Gymnasien ist nicht mehr das Leitbild der Konservativen. Neben durchgängigen Gymnasien soll es nur noch „Stadtteilschulen“ geben. Und die sollen selbst entscheiden, ob sie mehr oder weniger „integriert“ arbeiten wollen.
Am Ende wurde der von Claas Rohmeyer, Elisabeth Motschmann und Iris Spieß vorgelegte Antrag mit nur einer Enthaltung angenommen. CDU-Landeschef Bernd Neumann hielt sich aus der inhaltlichen Diskussion vollkommen heraus, hatte jedoch unter anderem den Europaabgeordneten Herbert Reul eingeladen – um einen dabeizuhaben, der die alte Parteilinie vertrat.
Von den bekannteren CDU-PolitikerInnen beteiligte sich außer den drei AntragstellerInnen nur der frühere Wirtschaftssenator Jörg Kastendiek an der Debatte – mit dem Eingeständnis, dass er „hin- und hergerissen“ sei.
Präsentiert hatte das neue Modell Thomas Röwekamp. Das Problem des derzeitigen Bremer Schulsystems sei es, so der CDU-Fraktionschef, dass für viele Eltern die Schulwahl nach Klasse vier auch „die Wahl des Abschlusses“ beinhalte. Anders gesagt: Wer seinem Kind die Chance offenhalten will, Abitur zu machen, muss es aufs Gymnasium schicken.
Auf die Hauptschule indes wolle niemand mehr, so Röwekamp weiter. Die große Koalition habe deshalb auf Wunsch der SPD versucht, die Hauptschulen mit den Realschulen zu so genannten „Sekundarschulen“ zusammenzufassen. Mit dem Ergebnis, dass nun die Sekundarschule unattraktiv sei. Die Schlussfolgerung der CDU: Neben dem Gymnasium müsse es eine Schulform geben, die alle Abschlüsse ermöglicht – und auch offen ist für einen Weg zum Abitur nach 13 Schuljahren.
Die Hamburger Schulsenatorin Alexandra Dinges-Dierig (CDU) war gekommen, um für genau diese Lösung zu werben. Sie tat das jedoch mit einigen Nuancen, die weit über den Bremer CDU-Antrag hinauswiesen. Es gebe viele Jugendliche, die durchaus fähig seien, Abitur zu machen – aber nicht in acht Jahren „durchknüppeln“. Für die müsse es ein attraktives Angebot geben. Denn, so meinte sie, es sei aussichtslos, den Eltern ohne Gymnasialempfehlung das Recht nehmen zu wollen, ihre Kinder nach der vierten Klasse dennoch auf einem Gymnasium anzumelden: „Es lohnt nicht, da zu kämpfen.“ Die andere Säule, die „Stadtteilschule“, müsse also attraktiv sein und alle Abschlussmöglichkeiten bis hin zum Fachabitur oder zur allgemeinen Hochschulreife bieten.
Gleichzeitig forderte Dinges-Dierig von den Bremer CDU-Delegierten mehr „Mut, etwas zu verändern“. Für sie ist es Zeit, auch den klassischen Unterricht im Klassenverband infrage zu stellen. „Jahrgangsübergreifender Unterricht“ müsse selbstverständlich werden. Nicht nur die Lerngeschwindigkeit müsse auf individuelle Möglichkeiten Rücksicht nehmen, auch Tests könnten individualisiert werden. Und von Noten hält die Hamburger CDU-Senatorin überhaupt nichts – weil sie wenig aussagten. Differenzierte Beurteilungen, die gleichzeitig die altersgemäßen Lernziele als „Benchmark“ formulieren, das würde den SchülerInnen deutlich machen, wo sie stehen.
Hamburg ist Bremen offenbar in einigen Punkten schulpolitisch deutlich voraus – nicht nur bei den PISA-Ergebnissen. Da gibt es etwa für Viereinhalbjährige ein Vorstellungsverfahren mit ärztlichem Attest und Sprachtest. Und am Ende der Grundschulzeit gibt es genauso selbstverständlich eine Diagnose besonderer Begabungen. In sozial benachteiligten Stadtteilen sind die Klassenfrequenzen abgesenkt. 1.200 „Führungskräfte an den Schulen“ werden geschult, SchulleiterInnen sind Vorgesetzte der LehrerInnen ihrer Schule – mit allen Konsequenzen. Die Bremer CDU war noch zu sehr mit ihrem Abschied vom dreigliedrigen System beschäftigt, als dass sie sich auf die weitergehenden pädagogischen Vorstellungen der Hamburger Partei-Kollegin einlassen wollte.