Zeigen, wo der Gatte Kapitän ist

Eines der wenigen statischen Genres der Kulturgeschichte: Schiffsporträts aus dem 18. Jahrhundert werden jetzt in Hamburg ausgestellt. Künstlerisch sind sie nicht sonderlich wertvoll, informieren dafür detailliert über den damaligen Schiffsbau

von PETRA SCHELLEN

Schiffsporträts sind ja so romantisch. Prachtvoll blähen sich die Segel, stolz gleitet die Brigg durch die Meere – nicht nur Ex-Kapitäne erschauern möglicherweise wohlig angesichts der Bilder, die derzeit im Altonaer Museum in Hamburg gezeigt werden. Vom eventuellen Romantik-Rausch bewahrt einen aber der Kulturwissenschaftler Boye Meyer-Friese, der die Ausstellung kuratiert hat. „Solche Schwärmereien“, sagt er, „sind heutiges Denken.“ Und um solche ging es den Bestellern der Schiffsporträts, die seit Ende des 18. Jahrhunderts entstanden, eben gerade nicht. Die Kapitäne und Offiziere, die diese Bilder kauften, wollten ein exaktes Abbild ihres Schiffs bekommen.

Da musste jedes Detail der Takelage stimmen, und das trifft auf alle 350 Bilder zu, die das Museum gesammelt hat und nun in den kommenden Jahren in einem dreibändigen Katalog präsentieren wird. Band eins, auf dem die aktuelle Ausstellung fußt, ist soeben erschienen.

Sortiert wird nach Baujahr

Dass die Blätter darin nicht nach Malern, sondern nach den Baujahren der abgebildeten Schiffe sortiert sind, zeigt die Prioritäten: Nicht als kunsthistorische Bestandsaufnahme, sondern als Dokument versteht Meyer-Friese den mit technischen Details gespickten Band. Vermutlich die einzige Chance, sich den Bildern zu nähern, deren künstlerischer Gehalt sich schwer fassen lässt. „Auf Gestaltungsideen kam es bei dieser Gattung nicht an“, sagt Meyer-Friese, „weshalb wir diese Frage gar nicht aufwerfen.“

Folgerichtig also, dass sich die Kunstgeschichte diesen Bildern lange genauso wenig widmete wie der Marinemalerei überhaupt. „Den Kunsthistorikern fehlte einfach die Terminologie“, sagt Meyer-Friese. Und räumt ein, dass auch er die Urheber der Schiffsporträts nicht „Künstler“ nennt, sondern „Maler“.

Ist das Schiffsporträt also ein verkanntes Genre? Auch hier ist die Antwort ambivalent: Meist wurden die Porträts zu Dekorationszwecken hergestellt und fanden sich nie im öffentlichen Raum. Diese Bilder wurden für ein wenige Personen umfassendes Publikum gefertigt: den Kapitän und seine Familie. Die hängte das Bild ins Wohnzimmer, damit Gäste sahen, womit der abwesende Gatte sein Geld verdiente. Schiffsporträts dienten letztlich als Statussymbole, hatte ein Seemann doch keine Chance, durch eine Immobilie oder sonst wie an Land Sichtbares zu glänzen.

An Land – sprich: im Hafen –wohnten auch die Schiffsmaler. Das waren ehemalige Seeleute, Schildermaler oder Lithografen. „Zentral war, dass sie etwas von Schiffen verstanden“, sagt Meyer-Friese. Warum war das so wichtig? „Das Schiff war für den Kapitän nicht nur Arbeitsplatz, sondern auch ein Ort, der ihm auf dem Meer Sicherheit bot. Die wiederum hing vom exakten Funktionieren jedes Details ab. Und die wollte er ebenso akkurat dargestellt sehen.“

Deshalb ist auch der Grat zwischen Schiffsporträt und technischer Zeichnung so schmal. Immer in Seitenansicht, oft sogar mit einem Maßstab versehen, dafür aber koloriert und um unrealistische Verschattungen ergänzt: So präsentieren sich die Schiffsporträts, die zudem entfernt mit christlichen Votivbildern verwandt sind. Das waren Schiffsbilder, die in Kirchen hingen, damit die Heiligen einen vor dem Untergang bewahrten.

Zwar sind die nun ausgestellten Schiffsporträts keine Maskottchen. Aber die emotionale Bindung des Kapitäns an sein Schiff sei groß gewesen, sagt Meyer-Friese. Und natürlich musste bei aller Technik die Schönheit des Bootes gezeigt werden. So kommt es, dass manchmal trotz Seitenansicht auch noch der reich verzierte Bug gezeigt wird.

Abgesehen davon, war den Kunden so ziemlich alles egal: Wasser, Wolken – all das kommt naiv bis abstrakt daher. Vom erkennbaren Zusammenhang zwischen dem dargestellten Wetter und der Takelage ganz zu schweigen. Der Hintergrund war offensichtlich nur Folie.

Variable Veduten

Eine alles in allem statische Gattung mit überschaubarem Anliegen also, die sich jahrhundertelang weltweit hielt: Von 1780 bis zum beginnenden 20. Jahrhunderts wurden Schiffsporträts erstellt. Kulturelle Unterschiede gab es kaum. Das in China gefertigte Porträt glich dem in Europa gemalten, der Gestaltungsspielraum der Künstler war winzig: Variieren konnte nur die Landschaft, die Vedute im Hintergrund. Malten Europäer hier meist Helgoland oder einen Abschnitt etwa der englischen Südküste, setzte ein Chinese Hongkong hin und erlaubte sich ein, zwei Dschunken.

Ansonsten gleichen sich die Bilder. „Es ist ein kulturgeschichtlich einmaliges Phänomen, dass eine Gattung 150 Jahre lang statisch blieb“, sagt Meyer-Friese. Auch jene gewisse Realitätsferne, die sich nicht nur in wechselnden Perspektiven äußert, sondern auch in meteorologischen Fehlern, hielt sich lange: Carl Gustav Shleis unter vollen Segeln fahrende Brigg etwa könnte niemals bremsen bis zu der Brücke gleich daneben.

Aber solche Details zählten für den Käufer nicht: Er wollte das Schiff in voller Fahrt, und das zeigten die meisten Schiffsporträts. Nicht, weil die Kundschaft geblähte Segel heroisch gefunden hätte, sondern weil die Segel die Kraft des Schiffs zeigen – das, was später, beim Motor- oder Dampfschiff, im Maschinenraum versteckt ist. Abgesehen davon bedeuten diese Bilder kunsthistorisch wenig. Für die heutige Forschung interessant sind sie vor allem wegen ihrer Akkuratesse, was die dargestellten Schiffe angeht. Baupläne von Holzschiffen gab es kaum, erhalten geblieben sind noch weniger. Da können die Porträts wichtige Botschafter sein.

Bis 24. 3. 2008, Altonaer Museum – Norddeutsches Landesmuseum, Hamburg