Vom Zeitenwandel in Hollywood

OUTSIDERS Ende der 1980er Jahre wurden die Grenzen zwischen industrieller und unabhängiger US-Filmproduktion poröser – auch ästhetisch

Indie-Regisseure wie Abel Ferrara und Paul Verhoeven gewinnen sichtlich an Boden

VON THOMAS GROH

Goldene Regel in Hollywood: Die vierte Wand bricht man nicht. Schon gar nicht stupst man sein Publikum mit der Nase auf die Tatsache, dass da gerade ein Polyesterstreifen durch den Projektor surrt – wir sind hier schließlich nicht beim Kunstfilm! Und doch geht in Joe Dantes schöner Horrorkomödie „Gremlins 2“ (1990) mit einem Mal das Filmmaterial in Flammen auf. Natürlich nur ein Gag: Die Sabotagekobolde, die im Film mit anarchischer Freude am Krawall die Konsumwelt eines Hightech-Hochhauskomplexes auseinandernehmen, machen eben auch vor dem Kino nicht halt. Kaum ist der Film durchgeschmort, ulken die Gremlin-Schatten auf der weißen Leinwand herum und legen unter „Dirty! Dirty!“-Gekrächze ein Nudistenfilmchen aus dem Privatfundus des Vorführers ein.

Den Gag musste Regisseur Dante gegen die Studiobosse durchsetzen. Nach gescheiterten Versuchen, eigenständig ein Sequel zum großen 1980er Kassenhit zu entwerfen, hatten sie ihm zwar in resignativer Ermattung Gestaltungsfreiheit eingeräumt. Doch fürchteten sie, dass das Publikum den Scherz nicht verstehen und das Kino verlassen würde. Die Anekdote sagt viel aus über den sich um 1990 abzeichnenden Zeitenwandel, wenn ein Regisseur, der in den 1970ern unter den Fittichen des B-Movie-Produzenten und Industrie-Outsiders Roger Corman zum Handwerk gekommen ist, gegenüber den großen Studios eine solche Position behaupten kann.

Waren industrielle und unabhängige Filmproduktion in den 1980ern noch deutlich getrennte Sphären mit klaren Hierarchien, werden die Grenzen ab 1989, dem Jahr von epochemachenden Filmen wie Spike Lees „Do the Right Thing“ und Steven Soderberghs „Sex, Lies, and Videotape“, nicht zuletzt auch ästhetisch porös: In Hollywood setzt eine sichtliche Akquise im Indie-Segment und in der Urbarmachung von dessen Qualitäten ein.

Im vergangenen Jahr fokussierte die von Hannes Brühwiler zusammengestellte Filmreihe „Cinema of Outsiders“ im Zeughauskino den in Sichtweite zu Hollywood operierenden Independentfilm der 1980er Jahre. Die Nachfolgereihe interessiert sich nun aus der Innenperspektive der Industrie für deren durchlässiger gewordene Produktion der 1990er Jahre, die vormaligen Indie- und B-Movie-Regisseuren wie Joe Dante, John Carpenter, Abel Ferrara und Paul Verhoeven sichtlich Boden einräumte und es ihnen gestattete, den Hollywoodfilm ein Stück weit mit vormals marginalisierten Positionen zu infizieren. Auch in der Industrie bereits etablierte Regisseure wie Clint Eastwood, Brian De Palma und Stanley Kubrick wussten Hollywoods Öffnung kreativ zu nutzen.

Die dichte Zusammenstellung dieser Reihe, die einige der schönsten US-Mainstreamfilme der 1990er versammelt und dabei in sympathischer Selbstverständlichkeit burleske und Teeniekomödien mit drastischen Horrorfilmen und sensiblen Dramen kontextualisiert, verdeutlicht dabei in aller Eindrücklichkeit, was für eine aufregende Phase die 1990er Jahre für den Hollywoodfilm darstellten.

Dass dabei immer wieder auch Drifter in Erscheinung treten, deren Lebensläufe schwer krisenhafte Einschnitte erfahren, wie in „Memoirs of an Invisible Man“, oder die Filme von den Zumutungen des Kapitalismus handeln („Showgirls“, „The Muse“) mag dieser neuen Konfiguration Hollywoods durchaus geschuldet sein. Was auch für die sanft subversiven Aushöhlungen des Starsystems gelten mag: Im Comedy-Remake des „Unsichtbaren Manns“ etwa bringt Horrormeister John Carpenter 80s-Komödienikone Chevy Chase buchstäblich zum Verschwinden – allerdings nicht ohne dass dieser in Schlüsselszenen für das Publikum wieder sichtbar wird – und interessiert sich dabei deutlich mehr für das groteske Spektakel, das sich im Innern des transparenten Starkörpers abspielt, wenn dieser Zigaretten raucht oder sich genüsslich den Wanst vollschlägt. Diesen sich allegorisch abzeichnenden Konflikt zwischen innen und außen der Filmindustrie macht später dann auch Steven Soderbergh produktiv, wenn er Glamourikonen wie George Clooney und Jennifer Lopez in seinen vom Indie-Auteurismus geprägten Noir-Thriller „Out of Sight“ in Position bringt.

■ Das Zeughauskino zeigt die Reihe „Cinema of Outsiders: Part II – US-amerikanisches Kino der 1990er Jahre“ vom 1. bis zum 21. April