BARBARA DRIBBUSCH über GERÜCHTE
: Im virilen Klimakterium

Die Wechseljahre des Mannes bedeuten auch für die Frau eine Verunsicherung. Weil Winfried nicht mehr klettert

Vielleicht ist es ja wirklich Quatsch, irgendwas zu behaupten, wie „Männer“ und „Frauen“ so ticken. Wo doch alles immer anders ist, wenn man genauer hinschaut. Doch manchmal gibt es Situationen, wo ich nach Regeln suche. Nach Trost. Seitdem mir Winfried ein bißchen fehlt.

„Wechseljahre“, sagt Christiane, „gibt es auch bei Männern: Die Testosteronkurve sinkt schon mit 30. Ab 45 geht es dann richtig los mit den Symptomen. Gewichtszunahme und so weiter.“ Wir drei Frauen lagern auf der Sturzmatte in der Kletterhalle, an unserem wöchentlichen Kletterabend. Eigentlich waren wir mal zu fünft.

Carsten war früher noch dabei und Winfried. Winfried und ich bildeten jahrelang eine Seilschaft. Doch dann ging es los. Sein Gewicht nahm zu, seine Muskelkraft sank. Winfried wurde 54. „Es ist eine Katastrophe“, stöhnte er vor einigen Wochen, als er sich an der Tour mit den roten Griffen nach oben wuchtete. Dann blieb er weg. Leider.

„Männer haben nun mal kein Modell für den Abstieg, das Schwächerwerden“, meint Joanne, „die können mit dem Nachlassen der Kraft nicht umgehen.“ Auch sie vermisst ihren Mann Carsten. „Der Abstieg wird ja auch im Bergsport unterschätzt“, philosophiert Christiane, „dabei passieren beim Abstieg die meisten Unfälle.“ Ich sage nichts. Manchmal geht mir die Metaphorik im Bergsport auf die Nerven. Obwohl ja was dran ist.

„Carsten hat mal angedeutet, ihm sei es peinlich, so abzufallen gegenüber den jüngeren Männern in der Halle“, sagt Joanne, „Irgendwie hat er sich doch immer verglichen.“ Carsten ist 52. Weder Carsten noch Winfried sind auf eine andere Sportart umgestiegen. Sie tun einfach gar nichts mehr. Außer ihren Job. „Dabei ist das mit der nachlassenden Muskelkraft altersbedingt. Ab 45 fängt bei jedem zweiten Mann sogar eine Verweiblichung an“, Christiane gerät in Fahrt, sie ist von Beruf Ärztin. „Mehr Fett lagert sich an Taille und Bauch, manche bekommen sogar Brüste. Die Intervalle zwischen den Rasuren werden länger. Gehört alles zu den Wechseljahren des Mannes dazu.“

Verlängertes Rasurintervall! Ich kenne Frauen, die das auch gerne hätten, denn bei Frauen verkürzt sich das eher. Vielleicht ist die hormonelle Angleichung der Geschlechter in späteren Jahren gar nicht so schlimm. Ich stelle bei mir jedenfalls gewisse Zeichen der Vermännlichung fest: Es macht mir Spaß, Leute herumzukommandieren. Und wenn jemand über seinen Alltag jammert, ohne sich erkennbar in Lebensgefahr zu befinden, geht mir das schneller auf die Nerven. Aber war ich vielleicht zu hart zu Winfried? Hätte ich durch mehr weiblichen Charme einen Mount-Everest-hohen Östrogenspiegel vortäuschen müssen ?

Früher musste ich über so was gar nicht nachdenken. Wenn ich mich hochhangelte, stand Winfried unten am Seil und ließ die Luft durch die Zähne gleiten, als pfiffe der Wind im Gebirge. „Vergiss nicht, die Sauerstoffflaschen vom Everest wieder herunterzubringen“, brüllte er dann nach oben. Ich lachte mich kaputt. Ich fühlte mich sicher.

Aber dann, im Sommer, ging es los mit den Ausreden. „Du, ich bin einfach zu kaputt“, entschuldigte er sich am Telefon. Später dann: „Ich brauche mal drei Wochen Pause.“ Ich vermutete zuerst andere Aktivitäten, vielleicht eine neue Freundin. Dem war aber nicht so. Zum Schluss wurde Winfried direkt: „Ich habe keine Lust, der Dickste und Älteste in der Halle zu sein.“ So hatte ich ihn nie wahrgenommen.

„Die Folgen des virilen Klimakteriums sind nachlassende Tatkraft, Reizbarkeit, Glieder- und Gelenkschmerzen“, Christiane gibt jetzt ein bisschen an mit ihrem Wissen. „Vielleicht sollten wir einfach eine Wandergruppe mit den Männern gründen“, unterbricht Joanne praktisch, „sonntags drei Stunden durch die Schorfheide. Das wär’s.“

Ich klinke den Karabiner an den Gurt. Schluss der Plauderei. Joanne steigt in die Tour ein. „Hast du mich?“ Klar. Sie klettert eine leichte Tour. „In der Mitte kannst du dich eindrehen“, rufe ich nach oben. Frauen klettern mehr nach Laune, weniger nach Leistung. Laune geht immer. Und ich ruf Winfried nochmal an.

BARBARA DRIBBUSCH

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