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Archiv-Artikel

Müssen Linke Weihnachten hassen?JA

GLAUBE Alles ist politisch. Auch das Fest der Liebe. Das ja in erster Linie das Fest des Konsums ist. Oder?

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Die sonntazfrage wird vorab online gestellt.

Wir wählen eine Antwort aus und drucken sie dann ab. Im sonntaz-Spezial zu Weihnachten entfällt der Streit der Woche allerdings.

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Niko Paech, 51, ist Nachhaltigkeitsforscher an der Universität Oldenburg

Wer als Linke/r den Imperativ sozialer Gerechtigkeit nicht zulasten der Ökosphäre austragen will, muss Weihnachten verachten oder neu erfinden. Dieses Ereignis verkörpert nichts anderes als einen Kulminationspunkt jener materiellen Exzesse, die den Weg zum Abgrund ebnen. Perfide kaschiert die Inszenierung eines „Festes der Liebe“ maßlosen, unnötigen Konsum. Die Materialisierung eines temporären Zuneigungsüberschusses ist längst ritualisiert. Deshalb misslingt es selbst konsumkritischen Minderheiten, sich der weihnachtlichen Moral des Schenkens zu entziehen. Nicht dass der Konsumismus sonst keine religiösen Züge tragen würde – denken wir an den Empfang geheiligter Apple-Hostien oder Mercedes-Sterne –, aber an Weihnachten ist er vollständig entkoppelt von Zweck und Bedarf, ist stattdessen inflationärer Symbolträger, für dessen unbegrenzte Steigerung keine sonstige Rechtfertigung vonnöten ist. Und nach der Weihnachtsorgie sind wir dann ausgebrannt, im doppelten Wortsinne versteht sich.

Jörg Sundermeier, 41, Autor, leitet den Berliner Verbrecher Verlag

„Jeda nach seina Fassong“, wissen Berliner ihren geliebten Menschenschinder Friedrich II. zu zitieren. So sehe ich’s eigentlich auch. Weihnachten ist heute so religiös wie jede Kirmes, es geht um einen Termin, an dem man sich den Wanst vollschlägt, die Alkoholreserven vernichtet und Liebhaben spielt. Leider aber schwingt bei diesem Fest etwas mit, das alle Linken abstoßen muss: Der totale Konsum. Weihnachten wird – mehr noch als andere traditionsreiche deutsche Feiertage wie etwa Rosenmontag, Halloween und die Los Wochos – gnadenlos ausgenutzt, um schon im August die Menschen mit Lebkuchen, Nikoläusen und „Last Christmas“ von Wham zu bewerfen. Das ist inhuman. Daher müssen Linke für die Abschaffung von Weihnachten sein. Man könnte ja stattdessen Lenins Geburtstag mit einer Geschenkeparty feiern.

„Grinch“-Fan Eric Blair, 41, aus Dublin hat den Streit auf taz.de kommentiert

1. Hurra! Es gibt noch Linke. Dachte, ich wäre der letzte! 2. Ich verabscheue Weihnachten – weil es eine erweiterte Marketingstrategie ist, um die leeren Kassen der Kaufhäuser und Mediamärkte am Jahresende zu füllen. Ob Jesus, um den sich das Ganze dreht, dies bei seinem Religionskonzept bedacht hat? However: Long live the Grinch!

Rainer Langhans, 71, ist Kommune-1-Gründer, Werbestar und Veganer

Eigentlich ist klar, dass Linke Weihnachten hassen sollten. Es ist verkommen zu einem großen Kauffest. Der Linken stünde es gut an, sich dem zu verwehren. Wenn man Weihnachten ernst nimmt, ist es ein Fest der Liebe. In der Weihnachtszeit sind die Leute ein bisschen freundlicher. Das genieße ich. Das ist angenehm. Davon bitte mehr. Aber vielleicht ist es ja das letzte Mal, dass dieser Konsumterror über uns einbricht. Ich bin der Meinung, dass die Welt sich gerade ändert. Im Internet ist das schon erlebbar. Da geht es darum, dass alle mit allen alles teilen. Da habe ich Hoffnung.

NEIN

Claudia Roth, 56, ist Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen

Wer wie ich im Allgäuer Alpenvorland groß geworden ist, hat Weihnachten im Blut und das Christkind im Herzen! Und das lasse ich mir auch von meinen sogenannten linken Freuden nicht nehmen, die zu Nikolaus bloß einen alten linken Stiefel vor die Tür stellen und den Adventskranz als Spießergebinde geißeln. Statt Weihnachtsnörgelei brauchen wir endlich eine wahrhaft revolutionäre Xmas-Strategie. Das sollte das hegemoniale Projekt in diesen Vorfesttagen sein: Wir müssen Weihnachten endlich befreien aus den Fängen eines globalen Weihnachtsbusiness, dem Klima und Umwelt schnurzegal sind. Weihnachten ist eben auch das Fest der Liebe in Zeiten des Kohlendioxid-Overkills. Wir brauchen deshalb mehr Öko-Lametta und den wiedereinpflanzbaren Weihnachtsbaum. Es geht um E-Mobility auch für den Weihnachtsmann. Das sind Bausteine für eine zukunftsfähige Aneignung des Festes. So wird ein linker Schuh draus!

Sophie Andresky, 38, Autorin, schrieb zuletzt „Schrille Nacht“

Wie kann man etwas hassen, das aus Goldflitter, Geschenken und Schokolade besteht? Was ist nicht toll daran, mit Freunden und Familie zu feiern, bis der Baum brennt? Wie viele Gelegenheiten gibt es sonst, so richtig in Schönem zu schwelgen? Weihnachten, finde ich, hat ein bisschen was von einem Swingerclub: Alles kann, nichts muss. Dieses Religions- und Moraldings – das nervt! Religiös und moralisch wird’s meistens da, wo man keinen Spaß mehr haben darf. Christen vergessen gern, dass 1. Weihnachten ursprünglich ein heidnisches Fest war und 2. ohnehin Ostern das höhere Fest im Kirchenjahr ist. Und Moralisten übersehen, dass arm zu sein nicht nur zu Weihnachten ätzend ist, sondern das ganze Jahr über. Und dem hungernden Kind in Afrika oder dem Benachteiligten in Marzahn ist es meiner Meinung nach völlig wurscht, ob es oder er etwas bekommt, weil dekadente Weihnachtsfans im Lametta-Rausch schweben oder weil sich jemand mit schlechter Laune was vom Graubrot abspart. Außerdem: Wer schlau genug ist, konsumkritisch über Reklame zu philosophieren, sollte auch schlau genug sein, den Fernseher auszuschalten.

Guido Ambrosino, 58, ist Autor der linken italienischen Zeitung „Il Manifesto“

Nichts gegen schöne Geschenke wie die Märklin-Eisenbahn, die ich mit fünf Jahren vom Jesuskind bekam. Sie hat meine Wertschätzung für Made in Germany begründet. Und das hat später eine Rolle bei der Entscheidung gespielt, in Deutschland zu leben. An Weihnachten werde ich aber bei meiner Urfamilie in Rom sein. Einmal im Jahr, wenn die gefüllte Pute meiner Mutter auf den Tisch kommt, darf Familienspießigkeit sein. Und der Konsumterror? Die Frage impliziert, dass ein Linker gegen „übermäßigen“ Konsum sein sollte. Zugegeben, es sprechen ästhetische Gründe gegen Weihnachtskitsch. Aber Appelle zur Enthaltsamkeit sind mir suspekt – in einer Zeit, wo diese Tugend in Europa, unter deutschem Spardiktat, zu Lasten der Armen praktiziert wird. Oder ist vielleicht die „schwäbische Hausfrau“ Merkel eine Ultralinke, wenn sie durchrechnet, dass der menschlichen Würde der Hartz-IVer schon mit 5 Euro mehr geholfen ist? Meine politisch korrekte Lösung: Frohe Weihnachten in Saus und Braus fürs Proletariat und keine unsinnigen Geschenke für Kapitalisten, auch nicht an Werktagen.