Eine materielle Spur

FILMESSAY Über Umwege nähert sich Stefan Hayn dem Außenseiter-Filmemacher Jean-Marie Straub

Ein Porträtfilm aus der Distanz, ausgehend von einer doppelten Übertragung: Zunächst hat Stefan Hayn über Jahre hinweg eine Serie von Ölbildern und Zeichnungen erstellt, die er als „malerischen Reflex“ auf das Werk des Regisseurs Jean-Marie Straub beschreibt. Und dann hat er seinen eigenen Blick rückübersetzt mithilfe des mechanischen und fotochemischen Blicks der Filmkamera: Weite Teile von „Straub“ bestehen aus Filmaufnahmen dieser Bilder, die Hayn mal in leinwandfüllenden Totalen präsentiert, mal in einzelne Ausschnitte zerlegt.

Die Bilder sind wie der gesamte Film: faszinierend, aber zunächst weitgehend opak. Wo Hayn gegenständlich arbeitet, schließt er höchstens über Umwege an einzelne Filmszenen oder an Motive des Straub’schen Werks an. Andere Bilder wirken zunächst wie formlos vollgekritzelt – bis ihnen der insistierende Blick Ansätze von Gegenständen und vor allem von Gesichtern entlockt; allen gemeinsam scheint eine Tendenz, die menschliche Form nicht von ihrer Umgebung abzugrenzen, sondern sie in das Ganze des Bildraums kollabieren zu lassen.

Zur Seite gestellt werden den Bildern in angenehm verspielter Manier andere Reflexe: Musikstücke, kurze Spielszenen und vor allem ein Arbeitsbericht, den Danièle Huillet, die 2006 verstorbene Lebens- und Arbeitsgefährtin Straubs, anlässlich des Drehs zu „Moses und Aron“ (1975) verfasst hatte. Und in dem sich der unbedingte (und stets unbedingt politisch gemeinte) Materialismus des Straub/Huillet’schen Kinos ausdrückt, zum Beispiel in einer Passage, die den Schwierigkeiten gewidmet ist, die auftreten, wenn ein Filmteam sich in einem abgelegenen Dorf aufhält, keine eigenen Toiletten mitgebracht hat und gezwungen ist, sich der Privatsphäre der Bauern aufzudrängen.

Huillets Text wird von mehreren Sprecherinnen vorgetragen, eine besonders prägnante Stimme hat eine süddeutsche Dialektfärbung. Wie Straub geht es auch Hayn darum, den individualisierten Sprechakt nicht hinter dem Vorgetragenen verschwinden zu lassen, sondern ihn mit auszustellen als eine materielle Spur, die auf das sprechende Individuum verweist. Besonders diese Ebene des Films macht deutlich, dass es „Straub“ bei aller Distanznahme nicht nur um eine Hommage an einen großen Außenseiter des Weltkinos, sondern auch um den Versuch einer Aktualisierung der Methode Straub/Huillet geht.

LUKAS FOERSTER

■ „Straub“. Regie: Stefan Hayn. Deutschland 2006–2014, 72 Min., 2. 4. im Arsenal-Kino (20 Uhr), 5. und 6. 4. im fsk-kino (jew. 16 Uhr)