: Gegen den Hass anrennen
GRAPHIC NOVEL Reinhard Kleist erzählt in „Der Traum von Olympia“ von der Flucht der Leichtathletin Samia Yusuf Omar aus ihrem Heimatland Somalia – die mit ihrem Tod im Mittelmeer endete
„Dabei sein ist alles.“ So lautet die olympische Floskel, die wohl auch als Trostformel für Sportler gelten mag, die bei einem Wettbewerb nicht allzu erfolgreich abgeschnitten haben. Für die somalische Leichtathletin Samia Yusuf Omar jedoch wäre das Dabeisein tatsächlich alles gewesen: nämlich ihr Leben. Die Sprinterin ertrank 2012 im Mittelmeer bei dem Versuch, mit einem Schlauchboot nach Europa zu gelangen. Ihr Ziel war die Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen in London.
Das Schicksal von Samia Yusuf Omar ist verdammt tragisch. 2008 vertrat sie ihr Land bei den Spielen in Peking im 200-Meter-Lauf und schied weit abgeschlagen in der ersten Runde aus. Doch sie wollte weiter trainieren, die nächsten Olympischen Spiele waren das Ziel der 1991 geborenen Sportlerin. In ihrer Heimat Somalia jedoch waren die Trainingsbedingungen alles andere als ideal: Islamische Extremisten bedrohten sie und ihre Familie, ihr Vater wurde bereits ermordet, Sportstätten waren mehr oder weniger unbenutzbar – vor allem für Frauen.
Der Comiczeichner Reinhard Kleist hat nun das Leben von Yusuf Omar in der Graphic Novel „Der Traum von Olympia“ nacherzählt. Die Geschichte beginnt mit Olympia in Peking und endet mit Samias Tod im Mittelmeer. Kleist erklärt im Vorwort, dass er persönlich mit Samias nach Helsinki geflohener Schwester Hodan gesprochen hat und so Näheres über das Leben der Familie in Mogadischu erfahren hat. Hodan Yusuf Omar ermunterte ihn, den Comic über ihre Schwester zu zeichnen.
Kleist tut dies in einer bemerkenswerten Weise. Sein ausdrucksstarkes Schwarz-Weiß, sein reduzierter, aber lebhafter Strich bringen dem Leser die Ereignisse sehr nahe. Zudem ergänzt er Facebook-Einträge von Samia Yusuf Omar, die zwar frei erfunden sind, die jedoch der Informationsvermittlung dienen und die ihre Flucht aus dem von Bürgerkrieg erschütterten Somalia rekonstruieren. Die Sportlerin floh zuerst nach Äthiopien, um dort mit den heimischen Leichtathleten zu trainieren. Doch da sie keine gültigen Papiere hatte, platzte der Plan. Und sie machte sich auf eine lange Odyssee, um nach Europa zu gelangen – immer den Traum Olympia im Kopf. Doch ihren größten Wunsch bezahlte sie mit dem Leben. Nach einer ersten gescheiterten Bootsflucht schaffte sie es zwar erneut in ein Boot – ein Schlauchboot –, doch als die Flüchtlinge vor der Küste Maltas auf ein Schiff umsteigen sollten, rutschte Samia Yusuf Omar ab und ertrank.
Das Schicksal Omars ist eine unerbittliche Flüchtlingsgeschichte, das hält die Graphic Novel eindrücklich fest. Sie zeigt deutlich, wie schwierig es ist, einen Ausweg zu finden, sich mit Behörden rumzuschlagen, Geld aufzutreiben, wie unmenschlich und gnadenlos Schlepperbanden arbeiten. Und wie nahezu unmöglich es ist, überhaupt auf dem Landweg bis zum Meer zu überleben – um dann eine Überfahrt in einem Boot anzutreten, das beim bloßen Hinschauen zu sinken droht. Das Schicksal Omars ist aber zugleich eine tragische Sportgeschichte, denn weder nationale noch internationale Sportverbände leisteten der Athletin Hilfe. Schon bei ihrer Olympia-Teilnahme in Peking hätten die Verbände auf sie aufmerksam werden können. „Ich renne gegen den Hass in meinem Land und um meiner Familie zu helfen“, sagte sie damals. Wiederum wird deutlich, dass Olympia nur ein gigantisches Event ist, in dem vor allem die kleinen, erfolglosen Sportler keine Rolle spielen. Umso wichtiger ist das Buch von Reinhard Kleist, das Samia Yusuf Omars Leben in Erinnerung behält. JUTTA HEESS
■ Reinhard Kleist: „Der Traum von Olympia. Die Geschichte von Samia Yusuf Omar“. Carlsen Verlag, 152 Seiten, 17,90 Euro