Hier esse ich Geld. Und alle schauen zu

LUXUS Nehmen wir an, ich habe 60 Millionen Euro in meiner Urlaubskasse. Warum 60? Egal. Was mache ich da jetzt als Superreiche in St. Moritz?

■ wurde 1962 in Weimar geboren. Sie schreibt Romane und Theaterstücke. Ihr neuester Roman heißt „Der Mann schläft“ und ist bei Hanser erschienen. Von ihr stammt auch das Theaterstück „Die goldenen letzten Jahre“. Außerdem hat sie geschrieben: „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“ (1997), „Sex II“ (1998), „Amerika“ (1999), „Das Unerfreuliche zuerst. Herrengeschichten“ (2001). Herausgegeben hat sie: „Und ich dachte, es sei Liebe. Abschiedsbriefe von Frauen“ (2006) und „Das war’s dann wohl. Abschiedsbriefe von Männern“ (2008). Heute lebt sie in Zürich und twittert unter @SibylleBerg. Ihr Motto dabei: „Kaufe nix, ficke niemanden.“

EINE KURZGESCHICHTE VON SIBYLLE BERG

Es ist Weihnachten, das ist furchtbar, in den Tiefebenen ist es grau, aushalten kann man diese tristen Tage eigentlich ausschließlich in St. Moritz. Aus Gründen, die ausschließlich kapitalistischer Natur sind, wie das Testen von Eiderdaunenbetten, die Erprobung schwarzer Kreditkarten oder das Erschießen von Polopferden, halte ich mich beinahe jedes Jahr dort auf und kann zu Recht behaupten: meine Güte.

Von der Natur begünstigt, erlag die Attraktivität des Ortes komplett den Anstrengungen der Schweizer Einwohner in den Siebzigern und Achtzigern, sie zu ruinieren. Überall stehen nun gelbe und ockerfarbene Wohnblocks aus jener Zeit, die vermutlich Ausdruck der Schweizer Gesinnung sind: Wir lassen uns von Schönheit nicht korrumpieren, wir sind auch wer, demokratisch, proper und schnörkellos.

Wie unschöne Perlen von trunkener Neureichenhand sind die Läden ins St.-Moritz-Dorf aufgefädelt, zwischen ansehnlichen Hotelgebäuden lungern Häuser, die aussehen, als würden sie eine Post beherbergen. Unten, im Tal, in St.-Moritz-Bad, stehlen sechsstockige Kastenbauten den alten Kurhäusern die Show. Und all die Ware, die Pelze, die Klunker, die Geschmacklosigkeit, und während ich Geschmacklosigkeit denke, merke ich, wie albern das ist. Ein Leichtes ist es, als Sozialhilfeempfänger, der ich im Verhältnis zum gemeinen St.-Moritz-Winterurlauber bin, den Kopf zu schütteln, angewidert zu tun, aber ist das nicht ein wenig zu einfach? Und offenbart es nicht einzig den kleinen Geist, Dinge und Gepflogenheiten zu ächten, die sich nicht im Rahmen der eigenen Welt abspielen?

Schnee hüllt das Elend in Watte. Ich denke: Marbella

Nähmen wir an, mein Reisebudget betrüge 60 Millionen Euro, die mir in fröhlichen Scheinen aus Mund und Taschen lappten, würde ich noch genauso einfältig mosern, oder gelänge es mir die Spiritualität des Ortes zu entschlüsseln, gleichsam Teil der drolligen weltweiten Milliardärsfamilie seiend?

Mit ein wenig Anstrengung kann man sich in alle Bewusstseinszustände versetzen. Ein paar Minuten, und ich bin reich. Ich habe 60 Millionen Euro in meiner Urlaubskasse. Warum 60? Ist doch egal, irgendeine reale Zahl muss man haben, um die Vorstellungskraft zu aktivieren. Schnee hüllt das Elend in Watte, die Lichter gehen an, und ich erinnere mich an Marbella, auch so ein ästhetisch gewagter Platz, der erst in der Dunkelheit zu leben beginnt. Ich bin Millionär. Und als solcher reise ich nie allein. Millionäre führen Chauffeure mit sich, Freunde, Kinder, Tanten, minimale Gruppengröße zehn Personen, für die es gilt, eine geeignete Übernachtung zu finden. Das Chalet Gaia kann man für 100.000 Euro in der Woche mieten. Das Haus liegt in einer kameraüberwachten Privatstraße, bewegte ich mich ohne eine dem Sicherheitspersonal bekannte Person hier, wäre innerhalb von einigen Sekunden Schluss mit Bewegen.

Was man eben so braucht, wenn man es braucht

Die erste Lektion: reich sein in der Art, der es bedarf, um ein Chalet in St.-Moritz-Dorf zu erwerben, ist nicht nur Spaß. Die berechtigte Befürchtung, gehasst, beneidet, entführt zu werden, kennen wir alle, bis auf den letzten Punkt, den haben die Reichen exklusiv. Das Haus selbst, 900 Quadratmeter, Wellnessbereich, fünf Mann Personal, ist, was man eben so braucht, wenn man es braucht.

Feine Hölzer, Blick auf den See, Saunen, Dampfbad, Granit, alles computergesteuert, wireless, Fernseher in jedem Raum.

Das Haus wird nicht an jedermann vermietet, zum Beispiel nicht an Banker, die im Rudel Boni verjubeln wollen. Da ich ein Banker bin, kommt das Objekt für mich nicht infrage, und ich besichtige das Kempinski unten in St.-Moritz-Bad, das von außen aussieht, wie alte, reiche Badehotels aussehen müssen. Es ist vor allem bei jungen Millionären äußerst beliebt.

Bevor ich mir die Unterkunft ansehe, wird mir ein Menü in der Küche des Hauses serviert. Event-Dining oder auch einfach eine reizende Idee. Sitzen neben Köchen, die funktionieren wie kleine Kochroboter, hundert Gänge mit Kaviar und allem, was der Gourmet gern verputzt. Der Spitzenkoch schwärmt vom Wagyu Beef, 250 Kracher die Portion, und weißem Albatrüffel für 2.600 Euro pro 500 Gramm. Dazu ein oxidativ ausgebauter Cherry. Prost, meine putzmunteren Küchenfreunde, gerade wird mir klar: Das Kempinski ist für mich als Millionär das Haus meines Vertrauens.

Was soll ich in einem Chalet, wenn ich hier in der Präsidentensuite wohnen kann. Drei Schlafzimmer, zwei Etagen, guter Geschmack, liebenswürdiges Personal und: Elena. Die vermutlich einzige Butlerin Europas. Sie steht den Gästen der Suite 24 Stunden zur Verfügung. Wobei meist zu der Suite die restlichen Zimmer der ganzen Etage gemietet werden. 100.000 Euro am Tag? Keiner weiß es so genau. Doch der Reihe nach.

Wir wollen Millionärsferien, und die beginnen so: Mit meinem Millionentaschengeld, meinen Nannys, den Bodyguards und meinen gekauften Freunden würde ich im Privatjet oder Charterjet auf dem Flughafen Samedan, dem höchstgelegenen Europas, landen. Dort würde Elena in den Limousinen auf mich warten. Sie hätte Tage im Voraus diskret Informationen über meine Vorlieben (Baldrian, Grüntee und englische Bulldoggen) eingeholt und würde mich und meine Kollegen auf der Fahrt zum Hotel einchecken, denn eine wie ich steht nicht an der Rezeption, um ihre Zimmerschlüssel in Empfang zu nehmen. Die Präsidentensuite ist wie jedes Zimmer im Kempinski mit gutem Geschmack neu eingerichtet, hell und warm, ohne den sonst in St. Moritz beliebten Holzrustikalchic. In der Hotelhalle: exquisite russische Kätzchen.

Elena, die so verschwiegen ist, dass sie noch nicht einmal ihren Nachnamen verwendet, liebt ihre Arbeit. Sie durfte schon Könige bedienen, Politiker, Stars oder einfach nur sehr, sehr Reiche. Zu jeder Sekunde ist sie abrufbereit, falls ihre Auftraggeber Hunger haben, Durst, wenn sie ein Privatkonzert mit Madonna wünschen, ein Lifting oder einen Helikopterflug. Alles ist möglich, sagt die junge Frau, die natürlich fließend russisch spricht, manche Dinge dauern vielleicht ein bisschen länger. Die größte Freude, fügt sie an, macht denen, die alles haben, jedoch, wenn man sie mit Kleinigkeiten wie ihren Lieblingsblumen oder dergleichen überrascht. Viele ihrer Gäste kommen vor allem wegen Elena wieder ins Kempinski, sie rufen unterdes nicht mehr die Rezeption an, um ein Zimmer zu reservieren, sondern sie.

Auch spucke ich weniger Blut als gemeinhin

Nachdem ich meine Juwelen im Zimmer verstreut hätte, würde ich mir den sagenumwobenen Wein für 250.000 Euro aufs Zimmer kommen lassen, der in einem Tresor in der Nähe auf einen gut gelaunten Kunden wartet, und Elena hätte mir und meinen zehn Freunden den Helikopter zum Corviglia, dem Hausberg, organisiert.

Untertags fährt der Mensch Ski, er tummelt sich auf den Pisten, da ist es immer sonnig, und seit die Engländer den Wintersport entdeckten, hat sich außer den zahlreichen Liften, die das Panorama zu ruinieren versuchen, nicht viel verändert. Berg ist Berg, und der Blick über die Hügel, den See, die Sonne rötet meine anämischen Wangen. Auch spucke ich weniger Blut als gemeinhin.

Nachdem der Wintersportler, der nicht ein paar Millionen hat und es gewohnt ist, mit einem Helikopter auf den Berg zu fliegen mit der kleinen Bahn, die man auch Lift nennen könnte, für zirka 50 Euro auf den Hausberg gefahren wurde und darauf mit Skiern herumfuhr, kehrt er mittags bei Reto Mathis im La Marmite, dem höchstgelegenen Yachtclub der Welt, wie Reto gern sagt, ein, um einen kleinen Lunch zu nehmen.

Im La Marmite lässt sich wunderbar Geld verknallen

Reto Mathi kenne ich aus dem Fernsehen, er ist, was man unter einem gut aussehenden Mann versteht, er schüttelt das lange Haar, die Zähne weiß wie Perlen, er liebt, wie es scheint, das Leben, seine Gäste, den Luxus, und wenn der Laden richtig brummt.

Ich meine, mich zu erinnern, dass er Gerichte gern mit Blattgold versieht oder Süßspeisen mit Kaviar des Albinostörs, das Kilo für 25.000 Euro, serviert. Aber vielleicht war es auch der weiße Trüffel, egal. Hier fühle ich mich wohl, hier esse ich Geld, und alle schauen zu.

Retos Vater hat das Lokal einst übernommen, seit 1992 führt der Sohn es und hat es zu der Imbissstube des Jetsets gemacht, was auch immer der Jetset ist. Ich glaube, den gibt es nicht mehr.

Im Winter fährt man eben Ski, that’s it, wie meine Jetsetfreunde sagen. Im La Marmite lässt sich wunderbar Geld verknallen, ich und meine zehn Freunde könnten als Vorspeise ein Trüffellcarpaccio für 475 Schweizer Franken verputzen, danach Bratkartoffeln mit Kaviar für 375. Dazu eine Flasche Krug Clos D’Ambonnay 95 für 9.600 Franken. Vielleicht mieten wir das ganze Restaurant, das mich irgendwie an die Deutsche Bundesbahn erinnert, noch am Abend. Mindestumsatz 25.000 Franken, kleines Feuerwerk im Schnee exklusiv. Reto hat einen so kindlichen Spaß am Aufzählen aller Möglichkeiten, Geld auszugeben, dass man ihn dafür umarmen möchte. So ist es richtig. Krise? Welche Krise?, fragt Reto und sieht mich leer an. Er rückt Geld in die richtige Relation: Es ist so irreal, wie es all die Verluste der Lehman Brothers sind.

Beschwingt torkeln ich und meine imaginären Freunde, die weißen Hasen, zurück in den Helikopter und lassen uns nach St.-Moritz-Dorf fliegen. Nach einem kleinen Drink im Palace werden wir shoppen gehen. Ich rufe Butlerin Elena an, sie soll für mich in Samedan ein oder zwei Autos kaufen. Während ich mich an schönen Russinnen ergötze, deren Welt einzig auf ihrer Schönheit aufgebaut scheint und die darum jede andere Frau als Konkurrentin betrachten, springt Elena mit ihren kleinen Beinen in den Laden der Firma Volante Classic Car. Geschäftsführer Mehne ist eine Freude jeder Zunft. Einer jener Menschen, die einem zwar viel Geld für schöne Dinge abzunehmen versuchen, doch dies mit Liebe tun. Herr Mehne ist verrückt nach Autos. Er zeigt sein momentanes Prestigeobjekt für 900.000 Euro: einen handgefertigten Rolles Royce mit Klappdach, der einem Schweizer Konsul bis zu seinem Dahinscheiden diente. Das Auto ist so groß wie zwei Elefanten, nur ungleich schnittiger. Gekauft.

Obgleich die Farbe nicht zu meinem Teint passt. Darum nehme ich noch einen in den Fünfzigern gebauten Mercedes mit Flügeltüren, schwarz außen und innen mit rotem Leder verkleidet, zum gleichen Preis dazu. Ein wenig ordinär zwar, aber hey.

Elena lässt meine Wagen zum Hotel bringen, und ich bin derweil in einer richtig guten Shoppinglaune, denn die dunklen Nachmittage in St. Moritz verbringt man mit dem Verblasen von Geld. Rudel vergnügter Russinnen, Italienerinnen und Gespensterfrauen aus irgendeinem arabischen Land federn in die Läden und erwerben Sinnloses. Aber was ist schon sinnvoll in dieser Welt imaginärer Zahlen und realen Elends.

Über den Cavalli-Rock ein Pelzschlafsack für 25.000

Zum Warmwerden kaufe ich einen furchtbaren Rock meines Erzfeindes Roberto Cavalli. Er sieht aus wie etwas, was man unter einem Kübel findet, und kostet 45.000. Darüber trägt man einen Pelzschlafsack für 25.000, damit man den Rock nicht sieht. Im Nachbarladen kaufe ich für 20.000 Franken ein Louis-Vuitton-Kofferset. Sehr schön, sehr rot. Fast passend, um das blaue Yves-Klein-Bild für 1 Million und das Botero-Gemälde für 900.000 zu verstauen, das ich in der Galerie Gmurzynska von Managing Direktor Plutschow erwerbe, dessen rosafarbenes Hemd weder mit Bild noch mit Koffer harmonisiert.

Hier in St. Moritz wird jeder eingelassen, denn seit es all die jungen Reichen gibt, existiert kein textiler Standard mehr, anhand dessen sich Kaufkraft ablesen ließe. Bei Rebecca Ardessi, im Laden mit dem schönsten Schaufenster gegenüber, kaufe ich für 1,6 Millionen einen alten Diamanten. Schwer lässt sich bestimmen, aus welchem Jahrzehnt genau er stammt, aber Indien als Geburtsort steht zu vermuten. Ich fasse 1,6 Millionen an. Und es tut nicht weh.

Die schöne junge Dame hat das reizendste Geschäft für antiken Schmuck, das ich als Millionär kenne. Ein Armband von Harry Winston, dem Lieblingsschmucklieferanten von Elizabeth, für 700.000 baumelt um mein bleiches Gelenk, und ich erfahre, warum der Handel mit Fabergé-Eiern nicht mehr lohnt. Rebeccas Eltern führten ein Geschäft, das sich ausschließlich mit dem Handel dieser delikaten Nutzlosigkeit befasste. Heute werden die Eier so oft gefälscht, dass es selbst Fachleuten kaum mehr möglich ist, Originale zu erkennen. Gleich neben Rebeccas Laden führt mich der extrem smarte Herr Shaaban in die Welt der Luxusuhren ein. Er schwärmt von Hersteller Breguet, dem König der Komplikationen. Eine wunderbare Überschrift für mein Leben, wenn ich eines hätte. Komplikationen nennt man alle Funktionen einer Uhr. Sekundenanzeige, Minutenanzeige, Mondphasen-Komplikationen, die in die mechanischen Uhren von Hand eingebaut werden.

Das kaufe ich nicht. Das überzieht mein Budget

Auf manche Breguet-Uhren, die um die 1 Million kosten, warten die Kunden fast ein Jahr, denn es werden wenige der kleinen Racker hergestellt. Rolex, meint Herr Shaaban, sei eine durchaus redliche Marke, jedoch ein wenig zu wenig exklusiv für das Konzept seines Ladens.

Der führt neben dem Zuchtperlenkollier von Mikimoto für 500.000 auch Graff-Edelsteine. Der König der Diamanten. Shabaan schwärmt von blauen Diamanten für 15 Millionen und einem Kollier für 70 Millionen. Das kaufe ich nicht, es überzieht mein Budget.

Trockenes Schlucken. Das muss einen als Millionär sehr verletzen, die Erkenntnis, für vieles noch zu arm zu sein. Um mich zu beruhigen, mache ich eine kleine Pause bei Glattfelder Kaffee, Tee und Kaviar. Das Traditionshaus beliefert die Hotelrestaurants im Ort und die Lauf- und Privatkundschaft mit Kaviar, Kaffee, Champagner. Von Geschäftsführer Thomas Josi lerne ich das Geheimnis des Kaviars. Der Atlantikstör, der König der Komplikationen, ist hoffnungslos überfischt und am Aussterben. Eine Mafia wildert die Tiere, die erst nach zehn Jahren geschlechtsreif sind, brutal aus.

Versuche, Stör zu züchten, sind schwierig, weil er dazu neigt, seinen Nachwuchs zu essen. Und dem Zuchtkaviar fehlt der typische knackende Biss, darum gibt es das Kilo auch schon für 2.600.

Der Stör wird brutal aufgeschnitten, sein Bauch entleert, und ich werde nie mehr Kaviar essen, bis sich die neue Methode des Entnehmens, per Kaiserschnitt, nicht durchgesetzt hat. Und selbst dann. Wird der Stör narkotisiert? Auf einer der Straßen, die in ihrer nicht gerade zurückhaltenden Beleuchtung aussehen, als seien sie in Las Vegas gebaut und dann in die Schweiz transportiert worden, passiere ich das Kaschmir House, dem ich rasch einen Vicuna-Schal für 2.200 und einen dazu passenden Pullover für 3.300 entreiße.

Das kleine Vicunja, verwandt mit Alpakas, Lamas und Guanakos, ist ein rarer Geselle. Rar ist das Zauberwort des Luxussüchtigen: haben, was andere nicht haben, sich dadurch wichtig fühlen, gottgleich. Ich brauche unbedingt eine Pause und nehme mir schnell ein auf dem Weg gelegenes Zimmer im Suvretta House. Die Juniorsuite für 1.500 Franken scheint mir gerade recht zur Entspannung. Das Suvretta House erinnert ungemein an das Overlook Hotel im Film „Shining“: endlose Gänge, in denen man dauernd Zwillingsmädchen mit Rollern erwartet. Nach einem Nickerchen ordere ich beim Chefconcièrge Herrn Kresse eine Privatvorführung von Abendkleidern und Pelzen. So kauft man ein unter meinesgleichen.

Nach zehn Minuten kommen auch schon zwei dieser italienischen Versace-Verkäuferinnen, die aussehen wie sexy Lehrerinnen, mit einem Kleid für 25.000 Franken. Gisele Bündchen hat es wohl getragen. Irgendwo.

Ab irgendeinem Grad von Besitz keine Gefühle mehr

Die reizende Geschäftsführerin von Roberts Fur, die 71 ist und aussieht wie 50, hüllt mich in einen Königszobel für 70.000 Franken. Auf dem Zimmer shoppen ist angenehm, aber langweilig, und so breche ich die Übung ab, suche meine zehn imaginären Freunde zusammen und lasse mit den Helikoptern wieder ins Kempinski fliegen. Das ehemalige Ferienchalet des Mohammed Reza Schah Pahlevi wurde vor einiger Zeit für 100 Millionen verkauft. Das hätte ich mir mit 60 Millionen nicht leisten können. Wie viel Geld man auch hat, irgendeiner hat immer mehr.

Und wenn wir aus der Verhaltenspsychologie etwas gelernt haben, dann, dass Zufriedenheit Wohlstand benötigt, jedoch ab irgendeinem Grad von Besitz keine Gefühle mehr auslöst. Das Leben auf sehr hohem Niveau, High-End-Leben sollte frei bleiben von unserer Bewertung.

Würden wir uns anders verhalten mit ein paar hundert Millionen? Würden wir nicht nach Verfeinerung suchen, die uns das Gefühl der Unsterblichkeit gibt? Sosehr ich mich bemühe, ich kann diese scheinbare Idiotie nicht verdammen, scheint doch fast alles auf unserem Planeten idiotisch. Gern vorgebracht wird der Einwand, die Reichen sollten mit ihrem Geld etwas Sinnvolles tun. Warum? Haben sie doch oft ihr Vermögen mit Sinnlosigkeiten erworben.

Wer bin ich, dass ich meinen könnte, mein Geschmack sei über jeden Zweifel erhaben. Die Reichen sollen ihre Million Uhren genießen, die aussehen wie Schlachtplatten, und wir Nichtreichen freuen uns, dass man das meiste Zeug wirklich nicht braucht, und dazu gehört ein Shopping-Urlaub in St. Moritz.

Aber schön ist es zu sehen, wie vor dem Fenster des Kempinski der Schnee wie Brillanten vom Himmel fällt. Es ist Weihnachten, und keiner geht hin.