Trotziges Pathos

HOMMAGE Mit grimmigem Witz und großen Schmerz- und Lustgesten agierte der Filmemacher Werner Schroeter. An ihn erinnern die Filmgalerie 451 und das sich gerade erfindende Wolf heute, an seinem 70. Geburtstag

Elfi Mikeschs Dokumentarfilm „Mondo Lux“ blendet immer wieder in Werners Schroeters Aufbruchszeit zurück, in der ihn Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders und viele andere Kinoerneuerer als genialen Low-Budget-Solitär bewunderten

VON CLAUDIA LENSSEN

Wolf würde Werner Schroeter gefallen. Für Zwischenreiche wie die provisorische Location mit dem wilden Namen hatte der Filmemacher und Theatermann sein Leben lang viel übrig. In einem Eckareal in der Neuköllner Weserstraße, einem ehemaligen Bordell, möchte die Filmkuratorin Verena von Stackelberg ein „Filmgehege“ bauen, einen neuen Ort für Kinovorführungen, Workshops, Ausstellungen und Filmproduktion, an dem das „nachbarschaftliche und das internationale Rudel“ kollektive Filmerlebnisse anstelle der digitalen Vereinzelung erleben kann.

Wenn ihre noch bis Mittwoch, 8. April laufende Crowdfunding-Kampagne das nötige Geld einsammelt, will die „Wolf-Gang“ im Herbst eröffnen. Vorläufig ist Platz für ein improvisiertes Café, erste Filmvorführungen und Ausstellungen. Unterstützer trommeln für die mutige Initiative, u. a. die Filmgalerie 451, die 2008 Werner Schroeters letzten Film, „Diese Nacht“, produzierte und „Mondo Lux“, Elfi Mikeschs poetischen Abschiedsgruß an den verstorbenen Freund.

Wolf und die Filmgalerie 451 präsentieren zum Gedenken an Werner Schroeters heutigen 70. Geburtstag und seinen 5. Todestag am 12. April ein Programm, das die Wucht des Undergroundkinos, wie er es verstand, fühlbar macht und um wenig bekannte Facetten ergänzt, u. a. auch eine Onlinepräsentation seines fotografischen Werks.

Filmen im Guerillastil

Werner Schroeter entdeckte 1968, angeregt durch den unbedingten Darstellungsdrang seines damaligen Gefährten Rosa von Praunheim, den Super-8-Film für seinen hintersinnigen Spieltrieb. Filmen im Guerillastil, einfach loslegen, ohne auf die Versprechen des Neuen Deutschen Films zu warten, lag damals in der Luft. Schroeters erste Filme im Freundeskreis, zu dem die expressive Magdalena Montezuma gehörte, stellten zum Sound alter Schallplatten große Schmerz- und Lustgesten aus italienischen Opern nach. Im WG-Look holten sie die Hochkultur vom Sockel arroganter Bildungshuberei, veralberten gekonnt abgegriffene Melodramen und beanspruchten dennoch trotziges Pathos.

Elfi Mikeschs Dokumentarfilm „Mondo Lux“, der im Wolf gezeigt wird, blendet in Ausschnitten immer wieder in Werner Schroeters Aufbruchszeit zurück, in der ihn Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders und viele andere Kino- und Kunsterneuerer als genialen Low-Budget-Solitär bewunderten. Das damals noch nicht den Formatklischees verhaftete Fernsehen finanzierte Schroeters 16-mm-Produktionen in kleinen Dosen.

Durch den Kitsch zur Tragödie

Der heutige Abend bietet auch die rare Gelegenheit, das surreal flirrende Episoden-Melo „Goldflocken“ zu sehen, das Schroeter Mitte der 1970er Jahre mit 3.000 D-Mark, dem Preisgeld für seinen mythischen Post-Western „Willow Springs“, in Toulon zu drehen begann. Nach dem „Tod der Maria Malibran“ und „Willow Springs“ bildete „Goldflocken“ den Abschluss einer Trilogie, die „durch den Kitsch hindurch die Sinne für die Tragödie öffnet, ohne Scheu vor dem Trivialen“, so sein Exposé für das ZDF.

Magdalena Montezuma verkörpert da zum Beispiel die französische Gattin eines heroinsüchtigen Großgrundbesitzers in Kuba – Schroeters Antwort auf Ava Gardner –, und in der zweiten „Novelle“, gedreht am Bochumer Güterbahnhof, will die engelgleiche Christine Kaufmann mit einem Gastarbeiter durchbrennen, was ihrer Mutter nicht gefällt.

In Avignon entstand die dritte Wahnsinnsepisode, in der Andrea Ferréol aus Schmerz über den Verlust ihres Geliebten durch ein Landhaus geistert und von Bulle Ogier, einer anderen Kino-Ikone der Zeit, in effektvoll überbelichtetem Schwarz-Weiß verfolgt wird. Ferréol lässt sich von der Todesbotin „nicht ins Boxhorn jagen. Das muss man können, nach einem misslungenen bukolischen Selbstmord erhobenen Hauptes aus einem flachen Bach zu steigen“, schreibt Werner Schroeter in seiner Autobiografie. Dass sein grimmiger Witz, seine Fabulierlust und die musikalisch inspirierten Pathosgesten nicht ohne sein Gespür für politisch verursachte Ungerechtigkeit zu denken waren, bewies er immer wieder.

Ende 2009 nutzte er eine „Carte Blanche“ im Pariser Centre Pompidou, um den amerikanischen Dokumentarfilm „Winter Soldiers“ zu zeigen, in dem sich Vietnamveteranen persönlich für die Kriegsgräuel verantwortlich erklärten. Das Wolf-Programm zeigt auch diesen für die Kriegsproteste bedeutsamen Streifen und ergänzt ihn mit der Aufzeichnung der flammenden Rede, die der Filmemacher dazu wenige Monate vor seinem Tod hielt.

Kreativ sein, unabhängig von bürokratischen Förderroutinen, das war Werner Schroeters subversives, auch kräftezehrendes Credo. Die Hommage ist ein spannender Auftakt für die Wolf-Gang.

■ Heute startet das Programm im Wolf, Weserstraße 59, um 19 Uhr

■ Crowdfunding-Kampagne unter: www.kisskissbankbank.com/de/projects/wolf-kino-gang