: Nur ein einziger Haftbefehl, aber wenigstens keine Toten
RECHTSEXTREMISMUS Die Zahl rechter Gewalttaten in Deutschland steigt. Viele Delikte in Sachsen-Anhalt
BERLIN taz | Tröglitz ist nicht alles: Bundesweit ist die Zahl der rechten Gewalttaten zu Jahresbeginn gestiegen. Nach Angaben der Bundesregierung haben die Ermittlungsbehörden für den Februar 2015 bereits 825 Straftaten mit rechtem Hintergrund gemeldet, bei 53 Fällen handelt es sich um Gewalttaten. Größtenteils hatten die Delikte laut Regierung einen „fremdenfeindlichen Hintergrund“.
Insgesamt verletzten die Täter 35 Menschen, Todesfälle gab es keine. Zum Vergleich: Im Februar des vergangenen Jahres zählte die Polizei nur 38 rechte Gewalttaten und 32 Verletzte. Ein Jahr zuvor waren es 32 Gewalttaten und 29 Verletzte.
Die Zahlen gehen aus einer aktuellen Antwort auf eine Bundestagsanfrage der Linksfraktion zurück. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau fragt monatlich die Zahl der Straftaten ab, die Neonazis und andere Rechte begangen haben. Schon für den Januar 2015 hatte die Antwort der Bundesregierung auf einen Anstieg rechter Gewalttaten hingedeutet: Im Vergleich zum Vorjahresmonat war die Zahl der Fälle von 31 auf 44 gestiegen, die der Verletzten von 26 auf 32.
Die tatsächlichen Zahlen könnten noch höher liegen: In ihrer Antwort weist die Bundesregierung darauf hin, dass die Statistiken nicht abschließend sind und „sich aufgrund von Nachmeldungen noch teilweise erheblich verändern“ könnten. Polizeibehörden definieren den Begriff „rechte Gewalttaten“ zudem häufig enger als zivilgesellschaftliche Organisationen. Dennoch liefern die Statistiken Anhaltspunkte; zudem gehen sie über reine Zahlen zu Gewaltdelikten hinaus.
So listet die Bundesregierung auch die Zahl aller rechten Straftaten auf, nicht nur die der gewalttätigen Fälle. Im Februar zählten Polizeibeamte in der Kategorie rechts motivierter Straftaten demnach insgesamt 879 Fälle, ein leichter Rückgang im Vergleich zum Vorjahresmonat (884) und Februar 2013 (909). Mehr als zwei Drittel dieser Straftaten waren Propagandadelikte, also „Sieg Heil“-Rufe, Hakenkreuz-Schmierereien und Ähnliches. Petra Pau fragt in ihren Anfragen zwar beharrlich nach noch detaillierten Informationen zur Art der Straftaten, etwa nach Volksverhetzung, Brandstiftung und Friedhofsschändung. Die Regierung unterscheidet in ihren Antworten jedoch nur nach der Gesamtzahl aller Straftaten, Propagandadelikten und Gewalttaten.
Dafür schlüsselt sie die Fälle nach Bundesländern auf. Spitzenreiter ist demnach Nordrhein-Westfalen mit 172 Straftaten, davon 11 Gewalttaten. In dem Bundesland liegen Neonazi-Hochburgen wie Dortmund, es ist allerdings auch das mit Abstand bevölkerungsreichste Land. Für Sachsen-Anhalt gilt diese Begründung nicht: Das Bundesland ist eines der kleinsten, liegt bei rechten Delikten aber auf Platz zwei. Dort zählten die Behörden 103 Straftaten, davon 9 Gewalttaten.
Mit einem Fall, der in der Statistik noch nicht auftaucht, geriet das Bundesland über Ostern in die Schlagzeilen: Im Ort Tröglitz zündeten Unbekannte ein geplantes Flüchtlingsheim an. Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) sagte am Mittwoch dem MDR, die Täter dürften nicht nur im rechtsextremen Bereich vermutet werden. Die Behörden ermittelten auch „in der linksextremistischen Szene“. Es sei schließlich möglich, dass linke Täter durch die Brandstiftung „eine andere politische Richtung desavouieren“ wollten. Indizien, die für diese Vermutung sprechen, nannte er nicht.
Statistisch ist übrigens unsicher, ob die Täter gefasst werden: Im Zusammenhang mit den 879 rechten Straftaten vom Februar 2015 konnte die Polizei 467 Verdächtige ermitteln. Sie nahm 11 vorläufig fest – und es gab einen Haftbefehl. TOBIAS SCHULZE