Der Stoff, aus dem die Serien sind

SEASONS „Boardwalk Empire“, „The Wire“, „Breaking Bad“, „True Blood“ – ohne Drogen hätte man nichts zu gucken

VON CRISTINA NORD

Ein paar Straßenzüge tragen in der US-amerikanischen Fernsehserie „The Wire“ den Spitznamen Hamsterdam. Die zweistöckigen Reihenhäuser im Western District von Baltimore stehen leer, nur in einem wohnt eine alte Afroamerikanerin. Viele Fenster sind vernagelt, die Gegend macht einen heruntergekommenen Eindruck. Die innerstädtische Verwahrlosung ist nicht nur in der Fiktion, sondern auch in der Wirklichkeit ein Kennzeichen der Stadt im US-Staat Maryland; sie offenbart sich hier in ihrer ganzen Härte. Zugleich findet in Hamsterdam ein soziales Experiment statt. Drogen können frei gehandelt werden, die Polizei schreitet nicht ein, wenn die Dealer ihren Kunden Crack oder Heroin zustecken.

Verantwortlich für dieses Experiment zeichnet ein Polizeimajor namens Colvin (Robert Wisdom). Er steht kurz vor der Pensionierung. Der Druck des Bürgermeisters, die hohe Verbrechensrate in Baltimore zu senken, hat andere hochrangige Polizisten dazu getrieben, die Statistiken zu schönen. Colvin, die ehrliche Haut, hat stattdessen lieber Hamsterdam erfunden. Seine Vorgesetzten hat er nicht informiert, seine Untergebenen machen widerwilig mit. Aber die Methode hat Erfolg. Die Zahl der Verbrechen sinkt um 14 Prozent, die Sozialarbeiter sind zufrieden, denn in Hamsterdam können sie sterile Spritzen und Kondome verteilen, also die negativen Folgen von Drogenhandel und -konsum lindern.

Für eine Fernsehserie wie „The Wire“ ist das ein wunderbarer Rohstoff. Auf der einen Seite steht das Ideal einer drogenfreien Welt, dem sich so gut wie alle Gesetzeshüter und Durchschnittsbürger verpflichten. Mit aller Macht und unter hohen Kosten versuchen sie es zu erkämpfen; sie erreichen es nie. Auf der anderen Seite steht der Pragmatismus Colvins, der erkennt, dass Drogen nicht aus der Welt zu schaffen sind, und deshalb versucht, Wege zu finden, wie alle besser damit leben können. Die beiden Positionen liegen miteinander im Clinch, und weil sich bis zur letzten Folge der Staffel keine ganz durchsetzt, geht der dramatische Treibstoff nicht aus.

„The Wire“, von David Simon konzipiert und für den Bezahl-Sender HBO produziert, ist bei weitem nicht die einzige US-amerikanische Fernsehserie, in der Drogen eine zentrale Rolle spielen. In ihrer epischen Ausdehnung und ihrer virtuosen Erfassung des städtischen Raums bleibt sie unerreicht, ein Solitär. Was wiederum nicht heißt, dass sich „Breaking Bad“ (für den Kabelsender AMC produziert), „True Blood“ oder „Boardwalk Empire“ (beide HBO) nicht auch sehen lassen könnten. Auf je eigene Weise tragen sie Substanzielles zum Umgang mit illegalen Substanzen bei. Nicht zu vergessen sind die Figuren in „Mad Men“, die um 10 Uhr morgens einen doppelten Whisky intus haben und rauchen, als wären ihre Kapillaren zu teerende Feldwege.

In „True Blood“ ist es das sogenannte V, das Blut der Vampire, das die begehrte Substanz darstellt, und auch auf vielen anderen Ebenen der von Alan Ball entwickelten Fantasy-Serie geht es um Kicks und Thrills, um rauschhaftes Erleben und das Spiel mit der Gefahr, das den Rausch noch besser macht (Sex mit einem Vampir gehört hier, anders als in der prüden „Twilight“-Saga, unbedingt dazu). Je mehr Folgen der Serie man sieht, umso besser versteht man, dass in dem fiktiven Südstaatenkaff Bon Temps ohnehin niemand ganz normal ist – in fast jeder Figur steckt entweder ein Vampir, eine Fee, ein Werwolf, ein Shape Shifter oder ein Hexer, fast jeder Akteur steht mit einem Bein in dem Reich, das sich der Tagesrationalität entzieht, hat also Zugang zu den Sphären, für die Normalsterbliche Drogen brauchen.

Von der Konfrontation unterschiedlicher Sphären weiß einiges zu erzählen, wer „Breaking Bad“ schaut. Die Serie, für die Vince Gilligan verantwortlich zeichnet, bezieht ihren Reiz zunächst einmal daraus, dass sie einen 50 Jahre alten, etwas spießigen Chemielehrer in die Welt der Produzenten, Dealer und Konsumenten von Crystal Meth versetzt. Bei Walt White (Bryan Cranston) wird Lungenkrebs diagnostiziert; um seine jüngere Frau Skyler (Anna Gunn), den 15 Jahre alten Sohn Walter jr. (RJ Mitte) und das noch nicht geborene Baby finanziell abzusichern, beginnt er Crystal Meth herzustellen; Schauplatz ist Alburquerque, New Mexico. Das Hin und Her zwischen dem überschaubaren, geregelten Suburbia-Alltag und den Drogenhöhlen und Gangsterquartieren reibt den Protagonisten auf; was die komödiantische Seite von „Breaking Bad“ anbelangt, hat man es mit einer typischen Diener-zweier-Herren-Konstellation zu tun, auf einer tiefer liegenden Ebene der Serie aber passiert etwas anderes: Walt White fällt aus seinem bisherigen Leben heraus, einmal schleicht er sich nachts ein und beobachtet heimlich, durch eine halb geöffnete Tür seine Frau und seinen Sohn in der Küche, er ist ein Fremder im eigenen Haus.

Aber sind die Sphären wirklich so klar voneinander abgegrenzt? „Breaking Bad“ vollzieht eher zwei parallele Bewegungen: In dem Maße, wie Walt aus seinem geregelten Umfeld herausrutscht, erweist sich das Umfeld als gar nicht mehr so geregelt. Walts Schwager Hank (Dean Norris) etwa arbeitet für die DEA, doch in seiner Garage braut er Bier und ist dabei ähnlich verzückt von den chemischen Prozessen wie Walt, wenn er im Wohnmobil in der Wüste mit Methylamin hantiert. „The Wire“ treibt die Parallelisierung von Gesetzeshütern und Gesetzesbrechern noch weiter, insofern die Verfasstheit der Polizeieinheit rund um McNulty, Bunk und Gregg immer wieder in der Verfasstheit des Drogenrings rund um Avon Barksdale und Stringer Bell gespiegelt wird.

Mit der Legalität und der Illegalität ist es sowieso so eine Sache. In einer Folge von „Breaking Bad“ schaut der DEA-Mann tief in sein Whiskyglas und sinniert darüber, wie willkürlich das alles doch ist: Vor 70, 80 Jahren war der Alkohol verboten, während Methylamphetamin noch im Vietnamkrieg als Aufputschmittel verwendet wurde.

Dazu passt „Boardwalk Empire“, eine in den späten 20ern, zu Prohibitionszeiten angesiedelte Serie, in der Whisky die verbotene Substanz ist. Für den Kingpin von Altantic City, Enoch „Nucky“ Thompson (Steve Buscemi), ist die Prohibition ein Segen, kann er doch ihretwegen mit dem Whiskyschmuggel beste Geschäfte machen. Von einer rigiden Politik profitieren zuallererst die, die mit der illegalisierten Substanz Handel treiben. Diese Doppelmoral erschließt sich in so schönen Szenen wie der, in der Thompson bei einer Versammlung von Temperenzlerinnen auftritt und mit Verve wider den Teufel Alkohol wettert.

Wenn aus der Reibungszone von Illegalität und Legalität eine Triebkraft für die Serien entsteht, dann hat dies eine Entsprechung in der Frage, wie sich die Drogenringe organisieren. Auf der einen Seite steht eine kriminelle, beinahe kriegerische Logik, auf der anderen das Streben nach Professionalisierung, und dazwischen gibt es viel Bewegung.

Bilder der Verzückung, der Ekstase, der Verwesung

Stringer Bell, einer der wesentlichen Drahtzieher in „The Wire“ (Idris Elba), studiert nicht zufällig Wirtschaftswissenschaften, und obschon seine Bande militärisch straff verfasst ist (die Straßendealer werden „soldier“, ihre unmittelbaren Hintermänner „lieutenant“ genannt), übt er sich in Verhandlungslogik, wenn er auf die konkurrierenden Organisationen zugeht, weil man ohne zu morden möglicherweise die besseren Geschäfte macht. Doch die Verhandlungsrunden scheitern regelmäßig an schwelenden Fehden, ungesühnten Morden, unverziehenen Ehrabschneidungen. In einer Figur wie Omar Little (Michael K. Williams), die sich als unabhängiger Einzelkämpfer behauptet, fließen die kriegerische und die ökonomische Logik zusammen: Je nach Blickwinkel ist er ein Freischärler im Drogenkrieg oder ein Freelancer in der Drogenökonomie von Baltimore.

Bleibt die Frage, warum Serien ein so gutes Medium sind, um von Drogen zu sprechen. Vielleicht, weil sie selbst süchtig machen. Als wir „The Wire“ schauten, nannten wir die von Freunden geborgten, auf Vorrat gehorteten DVDs „stash“, benutzten also das Wort, das die Dealer in der Serie für ihre versteckten Drogenvorräte verwenden. Bei „True Blood“ fieberte ich dem Moment des Tages entgegen, in dem ich den großartigen Vorspann endlich wiedersehen, Jace Everetts Song „Bad Things“ hören, mich von diesen Bilder der Verzückung, der Ekstase, der Verwesung, des pulsierenden Blutes in Bann schlagen lassen würde. Und wie bei jeder Form süchtigen Konsums gibt es die Höhepunkte, aber auch die schalen Augenblicke, die gerade eben die Entzugserscheinungen lindern, die Überdosierungen und den Überdruss: Müssen sich Walt White und sein Partner in Crime Jesse Pinkman (Aaron Paul) jetzt schon wieder so anschreien? Können die auch mal normal miteinander reden?

Dabei ist Seriengucken eine harmlose Sucht, ein perfektes Beruhigungsmittel für Leute, die sich nach anderen Exzessen vielleicht noch sehnen, dafür aber zu früh aufstehen müssen. Man leidet nicht unter Nebenwirkungen, außer ein bisschen Müdigkeit am nächsten Morgen, wenn einen das Ganze mal wieder bis zwei Uhr nachts wachgehalten hat. Die Figuren bezahlen ihre Eskapaden deutlich teurer – man denke nur an den Informanten namens Tortuga aus „Breaking Bad“, den der coole, narbengesichtige Danny Trejo in einem Gastauftritt spielt. Irgendwann bewegt sich sein Kopf, auf den Panzer einer Schildkröte geschnallt, durch den Wüstensand New Mexicos. Und dann dauert es auch schon nicht mehr lange, bis er explodiert.