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Ehrenrettung verpfuscht

■ Amtsgericht bescheinigt Oldenburger Professor „neofaschistisches Gedankengut“ Trotzdem noch keine Freisprüche im Prozeß gegen studentische Kritiker

Für einen Moment war es ganz still im Gerichtssaal. Dann Lachen, Johlen, „Freispruch!„-Rufe. Der Vorsitzende Richter Goose hatte per Beschluß just jene Erkenntnis verkündet, die die Angeklagten vor Gericht gebracht hatte: „Offenkundig“, so Richter Goose, enthalte der Artikel des Oldenburger Soziologie-Professors Gerd Vonderach „neofaschistisches Gedankengut“. Gleichwohl ist es zum Freispruch noch weit. Der Prozeß gegen sechs MitarbeiterInnen der Studentenzeitung „Lanzarote“ wird erst im nächsten Jahr fortgesetzt.

Der, um dessen neofaschistische Gedanken es gestern vor dem Oldenburger Amtsgericht ging, saß während der Verhandlung still auf dem Flur. Prof. Dr. Gerd Vonderach, in der Studentenzeitung „Lanzarote“ nach Auffassung der Staatsanwaltschaft „diffamiert“, war von dieser als Zeuge geladen. Vernommen wurde er gestern nicht. Er sei sehr betroffen von dem Gerichtsbeschluß, sagte er zur taz. Über Flurlautsprecher wurde ihm von der Protokollführerin mitgeteilt, daß er nun nicht mehr gebraucht

werde und gehen könne.

„Regionalismus und nationale Identität“. So heißt ein Aufsatz Vonderachs, den er schon 1985 in der von ihm selbst herausgegebenen Schrift „Gezeiten“ veröffentlichte. Vor dem Verschwinden der deutschen Nation warnte er darin: „Völker leben nicht ewig ... das Verschwinden kann schnell oder langsam erfolgen ... durch fremde Gewalt erwirkt werden oder durch (unbewußten) Selbstmord. Auch das Absinken der Bevölkerungszahl, insbesondere im Verhältnis ... zu ausländischen Bevölkerungsgruppen im eigenen Land...“ Die Studentenzeitschrift „Lanzarote“ hat diese und andere Thesen aufgegriffen. Ihr Titel im Juli 1987: „Die nationale Welle schwappt weiter: Die Uni Oldenburg als Kaderschmiede für Neofaschisten? “ Die Lanzarote-Autoren setzten sich aber nicht nur mit Vonderachs Theorien auseinander. Sie warfen ihm auch vor, „noch weitere neofaschistische Spielgesellen an die Universität“ geholt zu haben: Peter Bahn und Henning Eichberg, beides Theoretiker der „nationalrevolutionären“ neuen

Rechten und aktiv in deren Organisationen, zum Beispiel in der „Vereinigung deutsche Nationalversammlung“. In diesem Spektrum ist Vonderach laut „Lanzarote“ auch als Referent aufgetreten.

Mit ihrem harschen Artikel haben die „Lanzarote„-Macher die Wogen in der stillen Land-Uni hoch gehen lassen. (taz berichtete) Vor Gericht kam der Streit durch einen Eingriff von höchster Stelle: Johann-Tönnjes Cassens, Kultusminister von Niedersachsen, stellte einen Strafantrag. Die Autoren des inkriminierten Artikels hatten nur als „Ralph & Ray“ gezeichnet. Also waren alle MitarbeiterInnen dran, die im „Lanzarote„-Impressum standen. Sie saßen gestern im völlig überfüllten Saal des Oldenburger Amtsgerichts auf der Anklagebank.

Ihre Verteidiger, unter ihnen die Bremer Rechtsanwälte Almut und Heinrich Hannover, wollten zu Beginn der Verhandlung durch Gutachten beweisen, daß Vonderachs Thesen neofaschistisch sind, und hatten zwei Gutachter gleich mitgebracht: Ullrich Sonnemann, Sozialphilosoph an der

Kasseler Gesamthochschule und Martin Bennhold, Rechtssoziologe aus Osnabrück. Der Staatsanwalt sprach gegen diesen Beweisantrag: Für ihn sei „Neofaschist“ eine Beleidigung, die sich einer „Prüfung ihres Wahrheitsgehalts entzieht“, also ähnlich wie „Schwein!“ oder „Mistkerl“. Das Gericht brütete lange über dem Beweisantrag und durchschlug dann den gordischen Knoten: Es unterstellte als wahr, was die Verteidiger mit Gutachten beweisen wollten. Daß Richter Goose damit die Weichen für einen Freispruch stellen wollte, glaubte die Verteidigung nicht. In einem weiteren Beweisantrag wollen die Anwälte glaubhaft machen, daß Vonderach nicht nur neofaschistische Thesen verbreitet, sondern auch im Sinne dieser Ansichten politisch aktiv war. Dazu aussagen sollen nicht nur mehrere Professoren, sondern auch Vonderachs Mitarbeiter in der Redaktion seiner eigenen Zeitschrift. Sie, so hoffen die Anwälte, sollen bekunden, daß Vonderach seine Artikel dort gegen ihren politischen Widerstand durchgesetzt hat.

mw

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