: Eine Empfehlung an die Linken, die „Neue Zeit“ zu lesen
■ Einige Bemerkungen zur „Neuen Zeit“, der CDU-Zeitung für ganz Deutschland / Alle Zitate sind pur und ungenießbar in dem Blatt nachzulesen / Partei und Zeitung über Jahrzehnte im Untergrund
Nein, die Anbiederung der CDU-Blockflöte gegenüber der SED hat es nie gegeben. Kann man nachlesen in der CDU-Zeitung für ganz Deutschland. Zum Beispiel, wie die „SED unter Ulbricht ... die CDU in der DDR mit Stalins Hilfe ausschalten“ wollte. Wieso haben sie es eigentlich nicht geschafft, die Allmächtige und das Väterchen? Immerhin wurde der erste CDU-Chef „von den Russen gewaltsam abgesetzt“. Und abgehört wurde die NEUE ZEIT von der Stasi auch! (Kann man zwar nicht beweisen, stärkt aber das Selbstwertgefühl.) Überhaupt waren Partei und Zeitung über Jahrzehnte im Untergrund: „Wie haben wir diesen November ersehnt...“
Ein sich selbst als Widerständler anerkennendes Blatt kann schon mal belehren: „Wer demonstrativ nach rechts blickt, weil er signalisieren will, daß nur von dort Gefahr für die Demokratie droht, der schränkt das Blickfeld links ein. Der ignoriert bewußt die Gefahr aus der anderen Richtung.“ So wird dann „links“ zum Synonym für aggressiv, mies und unannehmbar, für irgendwie gefährlich.
Zum Beispiel 80.000 Anti-Kohl-Demonstranten in Berlin Ende Dezember: alles linke Radikale. Linke zerhauen auch immer CDU-Büros, und ruppig gehen sie mit CDU-Plakaten um. Die NEUE ZEIT weiß: „Wer jetzt abreißt und überklebt, wird zum Erfüllungsgehilfen der nächsten Diktatur, ob er es wollte oder nicht.“ (Der freie Umgang mit den Zeitformen sei dem promovierten Autor verziehen.) Auch deshalb ist man nun, nein, ist man eigentlich schon immer, nun aber mit neuer Kraft, angetreten gegen „die linken Kräfte in der DDR, die das Geschäft mit der Angst treiben“, gegen alle „sozialistischen Experimente“, gleich „in welchem Mäntelchen sie daher kommen“.
Und das liest sich dann so: Kunstschaffende, denen es bange um ihre Profession in einem zusammengeschmissenen Deutschland ist, sind in CDU-Wirklichkeit „abgetakelte Techniker der Nacht und Naive reinen Herzens“, nimmermüde, „jenes Gespenst der Vereinigung der der Deutschen“ zu beschwören, „um den verschreckten Bürger zur Hetzjagd einzustimmen“.
Von der SPD weiß man, daß sie das Wort „Sozialismus“ nur aus Wahltaktiv vermeidet, schon lange hat man in der SED „zum Sammeln unter dem noch unbeschadeten Dach der neuen SPD geblasen“. Die NEUE ZEIT braucht nicht zu beweisen, sie behauptet, und so liefert man ans Messer: FDGB, Kulturbund, Junge Welt, SED oder PDS oder wie die gerade heißen, einen Verband Berliner Betriebsdirektoren, Mensching, Journalisten... Da können die mal wissen, was unter „Umkehr in die Zukunft“ zu verstehen ist.
Die Denunziation jedenfalls scheint schon wieder flächendeckend: Selbst in der Werkzeitung „Trafo“ haben die cleveren Christdemokraten Antidemokraten entdeckt. Aber auch vorab läßt man schon mal Leute auflaufen: „Der kluge Bauer wählt CDU!“ Da muß man abwägen, wer will schon ein dummer Bauer sein? Wollen Sie lieber dicke Kartoffeln oder CDU?
CDU und NEUE ZEIT lassen sich nicht in die rechte Ecke stellen. Braucht auch niemand versuchen, das besorgen sie sich selbst. Zu faschistischen Schmierereien bemerkt man geistreich, daß das Brecht-Wort vom noch fruchtbaren Schoß eine „widerlich frauenfeindliche und obzöne Äußerung“ ist. Das ist dann schon fast alles.
Und daß heldenstädtische Reps Wahlmaterial der CDU verbrannt haben, erfährt man aus einer großen sozialistischen Tageszeitung, nicht aus der NEUEN ZEIT. Das brauchte niemanden zu wundern, forderte das Blatt doch (Diepgen zitierend) ein „antisozialistisches Wahlbündnis aller demokratischen Kräfte“. Soll wohl heißen: Entweder man ist demokratisch oder sozialistisch. Sozialistisch sind die Reps nun wirklich nicht.
„Sudelblatt“ nörgelte einer der Stammleser, welches einen „umgedrehten Stalinismus“, einen „christlichen Radikalenerlaß“ predigt, meckerte ein anderer. Die Redaktion setzte sich trotzdem dieser Tage auf Seite 1 ein Denkmal: „Die NEUE ZEIT ist vielseitiger, interessanter, kritischer geworden.“ Und auch wir wollen den Linken das Blatt empfehlen: Lest es, Ihr werdet voneinander erfahren. Eure Zukunft bei der Umkehr könnt Ihr erahnen, wenn die Zeitung dem CDU-Kämpfer rät: Wenn die anderen nicht wahlregelrecht mitspielen, dann „hilft ein beleidigtes Schmollen nicht viel.“ Ahnt Ihr, was da hilft?
(P. S.: Alle Zitate und indirekten Wiedergaben sind pur und ungenießbar in den Ausgaben der NEUEN ZEIT der letzten drei Monate nachzulesen.)
Corinna Hanke
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