: Häuptling Seidenschal reitet wieder
Hertha—Bayern 0:0/ Hertha-Squaw verteidigt olympisches Betonwigwam gegen die Lederstrumpfhosen ■ Aus Berlin Old Schmiernik
„Ein guter Mensch ist niemals unbescheiden, und tut nicht mehr, als was er kann.“ (Wilhelm Busch)
Nun, es war, als ob sich am Sonnabend nur gute Menschen im Olympiastadion getroffen hätten; nicht nur, um sich vollregnen zu lassen, nein, der Vergleich zwischen den schon fast hoffnungslos auf dem letzten Platz festsitzenden Herthanern und dem hohen Meisterschaftsfavoriten FC Bayern reizte ungemein, nämlich fast 40.000 Menschen. Und das Berliner Publikum, welches allgemein als verwöhnt und anspruchsvoll gilt, übte sich in größter Bescheidenheit. Wer vermutet hatte, die meisten ZuschauerInnen seien nur gekommen, um endlich mal statt des erbärmlichen Hertha-Kicks eine richtige Spitzenmannschaft Fußball spielen zu sehen, hatte sich arg getäuscht. Nix da, gierig nahmen die Fans die wenigen halbwegs gelungenen Pässe und Konterversuche der Herthaner auf und verfielen dabei in fast enthusiastische Begeisterung.
Schließlich hatte die Aufsteigerin Hertha mit dem arg geschrumpften Bären auf der Brust bisher meist wie ein verfilzter Teddy in der Bundesliga herumgequietscht und es erschien realistisch, daß Meister Bayern den Berlinern das Fell über die Ohren ziehen würde. Doch die Herthaner hielten sich an Wilhelm Busch und taten, was sie konnten, nämlich tapfer laufen, rackern, einige Ansätze von Kombinationen zeigen und kontern. Die Bayern mümmelten, statt ihre große technische Überlegenheit zu nutzen, dagegen meist schluffig im Mittelfeld herum und traten unmotiviert und übervorsichtig gegen den Ball.
Eine halbe Stunde ging es so, bis die Herthaner von der Münchener Harmlosigkeit derart aufgebaut waren, daß sie sich keck anschickten, insgesamt fünf Mal vor Aumanns Tor aufzutauchen. Den so geöffneten Hertha-Abwehrriegel nutzten die Gäste nur selten aus. Immerhin vier Torschußversuche brachten sie dabei zustande, sogar sehr gefährliche, doch Walter Junghans im Berliner Tor hält momentan die unglaublichsten Bälle..
Ihn übertraf nur noch der Ex-Kölner Armin Görtz, der wie aufgezogen die linke Außenlinie hinauf- und hinabwetzte, gute Flanken schlug und das Aufbauspiel kontrollierte. Fast eine Sensation hätte Theo Gries geschafft, setzte aber kurz vor Schluß einen Flankenball aus zwei Metern neben das Tor.
Auf Münchener Seite hingegen enttäuschten alle Spieler. Sogar Brian Laudrup, die einzige Hoffnung auf ästhetischen Fußballgenuß in diesem Spiel, flitzte nur drei Mal hüftwedelnd den Herthanern davon, bewegte sich ansonst aber eher wie Tobi das Toberkel.
Aber: all diese erstaunlichen Begebenheiten hatten auch ganz andere Gründe. Denn das Hertha-Präsidium hatte in der vergangenen Woche erst Manager Wolter, anschließend gleich noch Trainer Werner Fuchs gefeuert. Fix waren diese Arbeitsplätze jedoch wieder besetzt. Neuer Manager ist das schnittige Solarium- Gesicht Reinhard Roder aus Krefeld, der gleich einen alten Kumpel des gemeinsamen Trainerlehrgangs als neuen Coach installierte: Pal Csernai. „Der Mann mit dem Seidenschal“ genannt, gilt er als etwas versnobt und eigenwillig in der miefigen Fußball-Szene, war aber mit den Bayern zweimal Meister.
Obwohl er es genoß, bei seinem ersten Auftritt im Olympiastadion im Mittelpunkt zu stehen, blieb er dennoch bescheiden. Äußerlich (graue Hose, blaue Jacke im Schulbub- Look) und in seinen Äußerungen. Er habe nur einen ganz kleinen Anteil an diesem ersten Erfolg. Da wollte Kollege Josef „Osram“ Heynckes ein noch besserer Mensch sein, hatte die gleiche Kleidung gewählt und folgenden Satz als Statement über seine Meistermannschaft: „Das Team hat immerhin versucht, zu gewinnen. Das ist positiv.“
Am Rande des Spiels hatten Bayern und Herthaner aber noch andere gemeinsame Interessen. Still und bescheiden wurde über Transfermöglichkeiten unbenutzter Bayern-Stars geschwätzt, die in München meist nicht mal auf der Bank sitzen, die die Herthaner aber mit Handkuß nehmen würden. Gleich am ersten Trainingstag hatte Pal Csernai bemängelt: „In der Mannschaft gibt es keine Häuptlinge, sondern nur Indianer.“ Tja, Pech gehabt, Oberhäuptling „Seidenschal“. Wieder zu spät. Denn vor wenigen Tagen hat der ultimativ endgültig ins Rentner-Tipi reiten wollende „Winnetou“ Pierre Brice seinen Vertrag in Bad Segeberg verlängert. HUGH!
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