: DER MEIER AM HIMALAJA oder: Das Dilemma der Reisejournaille
oder: Das Dilemma der Reisejournaille
VONEDITHKRESTA
Was macht der Meier am Himalaja? Er guckt ihn sich an. Und wenn er eine wunderbare Routenbeschreibung in der Tasche hat, steigt er vielleicht hoch, steigt wieder runter, geht essen und schlafen, läßt sich ein bißchen rumkutschieren und kauft schnucklige Souvenirs. Das Land erfährt er im Bus in vorgezeichneten Bahnen. Die Bedürfnisse des Herrn Meier sind auch die Grundlage unseres üblichen Reisejournalismus. Denn der Meier ist Leser und will bedient werden mit ein bißchen Landschaftsbeschreibung, Urlaubsstimmung und Tips. Meier ist der Adressat nicht nur erbaulicher Berichte, sondern auch der Reiseanzeigen, die ein beträchtliches Budget zum Wohl der Zeitung beitragen. Dementsprechend gibt es Reiseteile in Zeitungen erst, seit die Meiers massenhaft zum Himalaja pilgern. Das Ressort Reise ist das einträgliche redaktionelle Umfeld für Anzeigen aus dieser wachstumsstarken Branche.
Natürlich betont jede Zeitung, die etwas auf sich hält, die strikte Trennung von Anzeigen und Redaktion. Im Ressort Reise schaut man dann aber nicht so genau hin, selbst wenn der veröffentlichte Bericht der literarische Erguß einer feucht-fröhlichen Pressereise oder eine gut redigierte Form der Pressemitteilung ist. Denn so einträglich das Ressort auf der Anzeigenseite ist, so sparsam muß es bei vielen Zeitungen auf der anderen Seite wirtschaften. Manche fürsorglichen Anzeigenkunden liefern daher das redaktionelle Elaborat gleich fertig layoutet mit. Dieses kostenlose Entgegenkommen können aber allenfalls einige Provinzzeitungen annehmen.
Ansonsten wollen auch die hofierten Reisejournalisten längst weg vom Image der gefräßigen Laus im luxuriösen Pelz der Reisebranche. Seit die Sorge um unsere malträtierte Umwelt in aller Munde ist, fließt in Texte zu „Pyramidenzauber“ und „Wüstenfreuden“ hin und wieder Kritisches wie die negativen Folgen der Coladosen-Wegwerfkultur oder zum Recycling von Kamelshit ein.
Ansonsten schreibt man über Destinationen, die auch für Meier interessant sein könnten und aus dem Blickwinkel, den dieser im Urlaub sowieso einnimmt: Sehenswürdigkeiten, ein bißchen Kulinarisches, Landschaftszauber und — neu hinzugekommen — die Müllentsorgungsprobleme der einheimischen Hotellerie sowie Sein oder Nichtsein von Kläranlagen. Land, Leute und fremde Kultur sind, wie auch sonst im Tourismus, folkloristische Einsprengsel, stimmungsvolle O-Töne der immer wiederkehrenden Berichte über das immergleiche touristische Produkt.
Zugegeben, es gibt auch andere positive Beispiele eines Reisejournalismus, der über die Hotelkette hinaus Interesse am Land, an dessen Alltag und Kultur aufbringt. Die Macher der Reiseteile von anspruchsvolleren Zeitungen wollen längst weg vom reinen Destinations-Tourismus. Zugegebenermaßen kann auch nicht jeder ein einfühlsamer und interessierter Reisepoet wie Fontane oder Kisch sein. Aber etwas interessierter könnte sich die Spezies Reisejournalist schon gebärden.
Aber wozu eigentlich? Solange das Reiseressort eben Touristikressort ist und auch von der Anzeigenabteilung verwaltet werden könnte, bedarf es keiner großen politischen, kulturellen oder sozialen Recherchen. Diese würden die Abnehmer in den Redaktionsstuben nur verunsichern. Bestenfalls würden die inhaltgeschwängerten Elaborate an die stets überlasteten Verantwortlichen der Ressorts Politik, Kultur, Soziales weitergeleitet. Doch deren Interesse liegt eher in Bornholm als beispielsweise in Sri Lanka. Eine aufwendige Reisereportage landet daher häufiger im Papierkorb als der halbseidene, gefällige Reisebericht.
Eine nette Reportage mit hautnaher Ehrfurchtsbezeugung vor den gewaltigen Massiven des Himalajas, wo Mensch Meier sich ganz klein fühlt, ein bißchen Geschichte über den sagenumwobenen Yeti, dem nun auch Meier begegnen will und ein Hauch lebensnahe Schilderung über die fröhliche Hühnerzucht der Eingeborenen reichen ja auch aus, um Meier die unbekannten Höhen des Himalaja schmackhaft zu machen. Und mit einem kleinen Servicekasten, wie man dort hinkommt und welcher Reiseführer ins Gepäck gehört, wagt Meier nun selbstbewußt den Gang ins nächste Reisebüro und die Konfrontation mit dem Reisefachmann, der ihm natürlich genau das Super-Flugangebot auf seinem Zeitungsschnipsel unterschlagen wollte.
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