: „Wir wollen bleiben“
■ Bezirksamt will Seniorenheim aufgrund eines Hygienegutachtens schließen/ HeimbewohnerInnen wollen bleiben/ Graue Panther kritisieren Altenplanung
Berlin. Das Seniorenheim Sterkrader Straße sorgt weiterhin für Zündstoff in Tegel-Süd (die taz berichtete am 9.10.). Während das Bezirksamt die Schließung des Hauses aufgrund eines Hygienegutachtens für unumgänglich hält, fühlen sich die HeimbewohnerInnen ausreichend versorgt und möchten unter allen Umständen bleiben. Die Grauen Panther planen, in den Räumen des achtstöckigen Gebäudes ein alternatives Wohnmodell einzurichten.
Die Mängelliste ist lang: zu kleine Wohnräume (10 Quadratmeter pro Kopf), fehlende Toiletten und Duschen, als Lagerraum mißbrauchte Notausgänge, eine Wäschekammer, in der der Putz von den Wänden rieselt... Das wichtigste Argument der Abgeordneten ist der altersschwache Fahrstuhl, der Kranke und Leichen als auch den Müll und das Mittagessen hin und her kutschiert. Im Brandfall wäre für Pflegefälle der Fluchtweg nicht gesichert.
„Wir wollen bleiben“ ist trotzdem der einstimmige Wunsch der rund 80 HeimbewohnerInnen. Daß das kein bloßes Lippenbekenntnis ist, zeigen die selbstgemalten Spruchbänder an den Balkonen und eine Liste mit über 1.000 Unterschriften. „Wir leben hier wie eine richtige Familie“, sagt die 91jährige Frau Sölter. Die freundschaftlichen Beziehungen im Haus sind der wichtigste Grund für den Widerstand gegen die Pläne des Bezirksamtes.
„Eine Sanierung des Gebäudes würde 18 Millionen DM kosten. Damit würden wir das Modell Großheim zementieren“, meint Oliver Schrouffeneger von den Grünen. Seiner Partei schweben für die Altenplanung dezentrale Häuser mit 20 bis 30 Plätzen vor, die den Senioren einen würdigen Lebensabend im eigenen Kiez ermöglichen. „Für eine Übergangsphase entstehen dabei natürlich Härten“, räumt er ein. Man wolle den Alten allerdings den Umzug in Gruppen von bis zu 30 Personen ermöglichen und könne sogar ein Neubauprojekt der Gewobag anbieten, das „quasi um die Ecke“ des jetzigen Heimes läge.
Dieter Peuker, Landesvorsitzender der Grauen Panther, packt die kalte Wut, wenn er über die Schließung des Heimes spricht. „Die ganze Wucht des Staates wird da auf diese unbedarften Menschen losgelassen. Mit vier Sozialarbeitern beackern die die Leute einzeln, bis sie sie in der Knebel haben und die unterschreiben.“ Hygienegutachten und Brandschutzverordnung dienen in seinen Augen der Baumafia als fadenscheiniger Vorwand für eine Edelsanierung des Hauses. Peuker wirft dem Senat die absurde Überteuerung der Altenpflege („Das teuerste Bett in Berlin kostet 8.020 Mark im Monat“) und bürokratische gesetzliche Bestimmungen vor. Im alternativen Wohnmodell der Grauen Panther leben junge Menschen, zum Beispiel arbeitslose Krankenpfleger mit den Seinoren im gleichen Haus. („Der Pflegenotstand ist angesichts 11.000 arbeitsloser Pfleger eine Lüge der Regierung.“) Als Gegenleistung für Boten- und Pflegedienste an ihren älteren Mitbewohnern gäbe es Mietreduzierungen, die Schwerstpflegefälle könnten zusätzlich von einem ambulanten Schwestern- und Ärzteteam versorgt werden. Zur Zeit sucht man unter den Bewohnern der Sterkrader Straße Interessenten für dieses Modell. Jantje Hannover
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