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Verbotene Kanzlerkritik

■ Weil sie Helmut Kohl unwillkommen hießen, wurden vier MitarbeiterInnen des kirchlichen Kunstdienstes abgemahnt

Um die Meinungsfreiheit hinter den Mauern der Kirche wird im Herbst sogar vor Gericht gerungen. Den Anlaß bot ein Flugblatt, das anläßlich der Einweihung des Berliner Doms seit Anfang Juni die dortigen Wände zierte. „Die Unterzeichnenden – vier MitarbeiterInnen des im Berliner Doms beheimateten Kunstdienstes der Evangelischen Kirche – entbieten Herrn Dr. Helmut Kohl ihr Unwillkommen!“ hieß es dort. Es sei enttäuschend, daß dieser seine Teilnahme an der Trauerfeier in Solingen nicht für erforderlich halte, an der Einweihung des Doms aber teilnehmen wolle.

Schon am ersten Tag forderte die Kirchenleitung, die Blätter zu entfernen. „Wir sind dem für die Flächen nachgekommen, für die wir nicht zuständig sind“, sagt Kunstdienstleiter Heinz Hoffmann. Im Kunstdienstschaukasten blieb es hängen. Am 17. Juni schickte der Leiter der Kirchenkanzlei der Evangelischen Union, Werner Radatz, eine Abmahnung. Die Unterzeichnenden hätten einem von der Kirche ausdrücklich eingeladenen Gast ihr Unwillkommen ausgesprochen. „Das Kollegium der Kirchenkanzlei erblickt darin ein illoyales Verhalten“, heißt es weiter, für den Wiederholungsfall werden arbeitsrechtliche Konsequenzen angedroht.

Das von Hoffmann gesuchte Gespräch über den Begriff der Loyalität innerhalb der Kirche wurde abgelehnt. Wenn Mitarbeiter ihrer Dienststelle widersprächen, sei das als illoyales Verhalten zu werten, sei ihm mitgeteilt worden, sagt Hoffmann. „Wenn ich mich dem Herrn der Kirche, nämlich Jesus Christus gegenüber, unbedingt loyal gegenüber verhalte, kann ich mich unter Umständen den Herren der Kirche nicht immer loyal verhalten“, kommentiert Mitarbeiter und Mitunterzeichner Jürgen Rennert. Der Kunstdienst habe es schon zu DDR-Zeiten nicht an aufrechtem Verhalten und Deutlichkeit fehlen lassen. Anders als bei dieser Abmahnung aber sei damals ein Vermerk nach zwei Jahren aus der Akte gestrichen worden. „Man kann da doch nicht zurückschrauben.“ Drei der MitarbeiterInnen haben jetzt Klage beim Arbeitsgericht erhoben.

Die Kirchenleitung wollte sich zu den Vorfällen nicht äußern. „Es handelt sich hier um ein schwebendes Verfahren“, sagt Oberkirchenrat Rainer Bürgel. Rechtsanwalt Hans-Karl Ganß, der die Kunstdienstler vertritt, sieht gute Erfolgschancen für die Klage. „Die Meinungsfreiheit hört nicht hinter den Mauern des Berliner Doms auf“, sagt er. Grundrechte hätten auch in Tendenzbetrieben Geltung, solange sie den Betrieb nicht störten. Corinna Raupach

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