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RTL ist nicht Thoma

■ Ein Interview mit Kommerzsender-Chef Helmut Thoma

taz: Am 2. Januar 1994 wird RTL zehn Jahre alt. Was wünschen Sie sich?

Helmut Thoma: Ich wünsche mir, daß wir der meistgesehene Sender in Deutschland bleiben, unsere Marktführerposition weiter ausbauen können.

Vor sechs Jahren hatte RTL noch einen Zuschaueranteil von 1,3 Prozent, derzeit sind es knapp 20 Prozent. Wie hoch hinaus wollen Sie denn?

Ich möchte schon an die 30-Prozent-Marke herankommen. Ich bin selbst verwundert, daß wir mit diesem Programm bereits die Nummer eins sind.

Gibt es einen Strategieplan zum Erfolg?

Wer die Entwicklung von RTL beobachtet hat, erkennt drei Stufen: zuerst die Anfangsjahre. Was wir da alles gemacht haben, ohne viel Geld, war ja teilweise absurd; dann kamen unsere Flegeljahre, und jetzt werden wir immer erwachsener.

Für eine Nummer eins hat RTL allerdings ein schlechtes Image. Nur neun Prozent der Deutschen halten ihren Lieblingssender für „seriös“ (ARD: 59 Prozent).

Unser Problem ist, daß wir gegenüber ARD und ZDF einen Informationsnachteil haben, aber den holen wir langsam auf.

Bei RTL denkt über die Hälfte der ZuschauerInnen an „Tutti Frutti“ und Sexfilmchen der Siebziger.

Also wissen Sie, damit habe ich überhaupt keine Probleme mehr. Die Öffentlich-Rechtlichen haben die sexuelle Revolution ausgeklammert, weil kein Intendant Ärger mit seinen Rundfunkräten oder mit dem Vertreter der katholischen Landfrauen wollte. Wir haben diese Filme gezeigt und sind jetzt de facto aus dieser Welle ausgestiegen.

Späte Einsicht?

Nein, Erotik wird es auch weiterhin bei RTL geben. Jede Boulevardzeitung hat auf Seite 3 oder 5 die Nackte vom Dienst.

„Wer uns jetzt kennt, kennt unsere Visionen“, werden Sie in Ihrer Public-Relations-Geburtstags- Kladde zitiert.

Man wird ja häufig zitiert, wo man sich nicht ganz wiederfindet. Mit Visionen habe ich wenig im Sinn. Aber in Deutschland muß man Visionen haben, sonst gilt man als absoluter Dorfwickel. Ein klarer Blick in die Zukunft reicht mir persönlich aus.

RTL ist Thoma, und Thoma ist RTL, heißt es...

So stark kann man das nicht gleichsetzen. Der Sender ist durchaus in der Lage, auch ohne mich zu bestehen. Daran habe ich kräftig gearbeitet.

Wie ist Ihr Verhältnis zum Publikum?

Ich glaube, daß ich die deutschen Zuschauer so halbwegs verstehe. Ich kann das nicht beschreiben, das ist mehr ein Gefühl als intellektuelles Wissen.

Und Sie nehmen die Zuschauer ernst?

Ja, natürlich.

Sind Sie ein Zyniker?

Nein, ich bin ungeheurer Realist. Aber leider kommt der Realismus häufig in die Nähe von Zynismus. Was ich auf den Tod nicht ausstehen kann, das ist Verlogenheit. Beispiel Vox: Die Macher dieses Senders haben wirklich geglaubt, Fernsehen für andere Menschen zu machen, aber die gibt es nicht.

Mit anderen Worten: Dem Publikum reichen blödsinnige Billigproduktionen wie „Verzeih mir“ – Hauptsache, die Quote stimmt?

Wie immer die Kritik darüber urteilt, die Sendung arbeitet mit Emotionen, und Emotionen sind im Fernsehen das Entscheidende. Und was war die Carrell-Show in der ARD denn anderes? Da wurde die Großtante als Überraschung aus Australien eingeflogen; bei „Verzeih mir“ gibt's eben einen Blumenstrauß.

Macht Qualität überhaupt Sinn?

Qualität zahlt sich immer aus. Die Frage ist, wer sie bestimmt. Das Publikum ist ein sehr vernünftiger Qualitätsprüfer.

Hella von Sinnen findet dann keine Heimat mehr bei RTL?

Hella von Sinnen hat jetzt auf RTL 2 ihre Show. Sie ist wirklich gut, aber für die große Masse einfach zu provokant.

Was hat dann TV-Anarchist Hape Kerkeling bei RTL verloren?

Hape Kerkeling geht auf die Massen zu. Das ist so ein Otto der Neunziger, ein Karl-Valentin-Epigone, was sehr selten ist.

Können Sie über die Witzchen Ihrer Komödianten lachen?

Über Otto und Hape kann ich herzhaft lachen. Ich bin auch relativ leicht zu unterhalten. Nur mit dummen Witzen tue ich mich schwer.

Thomas Gottschalk, Ihr teuerster Angestellter, macht eine neue „Late Night Show“. Sein zweiter Versuch?

Ich bin zutiefst überzeugt, daß Gottschalk das kann. Er hat das Charisma dazu. Daß es bisher nicht funktioniert hat, lag an der Redaktion.

Bei RTL sitzen alle auf einem heißen Stuhl, außer Alexander Kluge, der mit seinen ambitionierten Quotentälern wie „10 vor 11“ unkündbar ist. Ist der Name Kluge ein rotes Tuch für Sie?

Nein, ich bewundere ihn sogar, weil er als einziger sofort schwarze Zahlen geschrieben hat. Er hat den Medienpolitikern so lange eingeredet, sie seien kulturfeindlich, daß sie ihm – bzw. seiner Firma DCTP – Lizenzen gegeben haben. Auf Dauer geht das natürlich nicht, seine Sendungen passen nicht in unser Programm. Kluge sollte einen eigenen Kanal aufmachen mit all den wunderschönen Programmen, die er hat. Ich verstehe auch nicht, warum Spiegel-Verlag oder Gruner+Jahr für Sendungen bezahlen, die sie auch bei uns plazieren könnten. Wozu noch ein Zwischenhändler?

Fernsehen der Zukunft: Wie wird es morgen in den Wohnungen der Menschen aussehen?

Technisch wird alles möglich sein. Beispiel Frühstücksfernsehen: Es leidet darunter, daß der Fernseher fest verankert im Wohnzimmer steht. Wir drücken den Zuschauern den Fernseher in die Hand. Dann können sie auch in der U-Bahn oder beim Friseur fernsehen. In ein oder zwei Generationen ist der Fernseher in der Hosentasche Alltag.

Welche Frage können Sie nicht mehr hören?

Die Frage nach dem Niveauverlust.

Interview: Thomas Gill

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