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Wo Parolen hingen, blinken Lampen

Zum Semesterende weht an der Humboldt-Universität der Protestwind nur noch lau. Erfolgreicher Studiengebührenboykott nährt die Hoffnung, im Herbst den Protest erneut anzufachen  ■ Von Stefanie v. Oppen

Im Innenhof der Humboldt- Universität (HU) probt das Universitäts-Orchester die Ouvertüre zur Oper „Undine“. Trotz Protesten und Aktionen in diesem Semester – Chor und Orchester der HU trafen sich regelmäßig zu den Proben. Bis in das Studicafé beim Krähenfuß dringt die Musik. Wer dort versammelt ist, schlägt allerdings andere Töne an: „Wir müssen den Bonzen einen vor den Latz koffern“, sagt einer. Hier trifft sich wie jeden Dienstagabend das Bündnis gegen Sozialabbau. Die Redebeiträge für die nächste Demo werden diskutiert. Soll da wirklich der „Klassenkampf“ beschworen und „die Herrschenden“ an den Pranger gestellt werden? „Das ist zu phrasenhaft, da hört keiner mehr zu“, moniert eine Studentin. Eine Gewerkschaftsvertreterin meint: „Laß es doch so stehen – wir sind zwar ein Bündnis, aber Unterschiede können ruhig deutlich werden.“

Das sieht der Jurastudent Oliver anders. Für ihn ist es „Humbug“, wenn die Studis mit anderen benachteiligten Gruppen der Gesellschaft gemeinsam auf die Straße gehen. Er sei mal bei einer Demo mitgelaufen, da hätten die bei der Kundgebung alles mögliche gefordert, nur keine Hochschulreform: „Ich wußte schließlich gar nicht mehr, gegen oder für was ich demonstriere.“

Die Aktionen im Mai und Juni waren phantasievoll, vielfältig und öffentlichkeitswirksam, die Schlagkraft aber blieb begrenzt. So wurde immer wieder ein Streik beschlossen, der aber nie umgesetzt wurde, weil die Basis ihn nicht trug. Auch der Informationsfluß lief oftmals stockend. Eine Medizinerin berichtete, daß sie häufig nicht auf dem laufenden war, weil bis in die fernab der HU-Hauptgebäude gelegenen Institute der Mediziner nur wenige Infos drangen.

Trotzdem engagierten sich sehr viele Studierende an den Protesten. Jan, Student der Sozialwissenschaften, vermutet, daß nur so viele dabei waren, „weil es möglich war, den Protest mit der Studiererei unter einen Hut zu bringen“. Dementsprechend weht der Wind jetzt gegen Semesterende eher lau. Die ersten StudentInnen sind schon in den Urlaub gefahren. Andere bereiten sich auf Prüfungen vor. Die meisten Plätze im Lesesaal der Bibliothek sind belegt.

„Als ich gemerkt habe, daß die jetzt alle doch noch Hausarbeiten und Prüfungen machen, habe ich mich auch noch schnell hingesetzt, um noch möglichst viele Scheine mitzunehmen“, gesteht Anna, die Sprachen studiert.

Die Normalität des Universitätsalltags ist wieder eingezogen. Das große Transparent über dem Eingangstor des HU-Hauptgebäudes mit der Aufschrift, „Lehrer Lämpel goes public“, ist verschwunden – ersetzt durch eine Leinwand, mit der die Universitätsleitung auf Veranstaltungen hinweist. In der großen Eingangshalle, wochenlang vollgeklebt mit Aufrufen, Parolen und Flugblättern, blinken jetzt bunte Lichter, und Kugeln flitzen durch Plexiglasrohre. Die Physikausstellung „Vom Quark zum Kosmos“ findet dort statt.

Miriam, eine Germanistikstudentin, ist enttäuscht: „Von seiten der Politik ist nichts passiert. Die waren froh, daß wir so kreativ und lieb waren und haben uns doch nicht richtig ernst genommen. Die sollen sich nicht wundern, wenn die einen gleichgültig, die anderen aber radikal werden.“

Kulturwissenschaftler Jan ist nicht nur wütend auf die Politiker: „Die Studenten kriegen ja auch den Hintern nicht hoch. Noch nicht mal für sich selbst und ihre Zukunft fühlen die sich verantwortlich.“ Die ganze Verantwortung liege auf den Schultern einiger weniger Studierender. Jan hofft, daß die Studenten doch noch aufwachen und es im Herbst einen „Generalstreik“ geben wird. Denn der neue Hochschulstrukturplan, der dann verabschiedet wird, enthalte „die wirklichen Schweinereien“.

Ob die Masse der Studierenden nochmals aufwachen wird, bezweifelt Thomas, der auf einer Bank vor der Unibibliothek gerade eine Lernpause einlegt: „Die haben doch alle ihre dicken Autos auf dem Parkplatz stehen. Am schlimmsten sind die Schwaben, die einen auf linksradikal feiern, aber auf Papis Kosten. Da ist doch mehr Verpackung als Inhalt.“ Die letzten wirklichen Aktionen, die etwas bewirkt haben, gab es seiner Ansicht nach in den Sechzigern.

Daß er keine finanziellen Probleme habe und er bereit sei, Studiengebühren zu bezahlen, tönt Jurastudent Jens: „Andere Umverteilung hin oder her, wir müssen alle umdenken. Es kann nicht länger alles umsonst geben.“ Seine Kommilitonin Neele feixt: „Ich studiere Jura, ich bin obrigkeitshörig, und darum zahle ich natürlich die hundert Mark.“ Sie würde auch tausend Mark zahlen. Allerdings müsse sich dann auch die Lehre verbessern. Dennoch verspricht der Studiengebührenboykott bislang Erfolg. Die Initiative gegen Studiengebühren ist zudem das einzige wirklich funktionierende berlinweite studentische Aktionsbündnis. Der Infotisch an der HU ist ständig von Studierenden umlagert, die sich das Procedere von Widerspruch und Massenklage erklären lassen.

Zur selben Zeit tagt im großen Senatssaal das HU-Konzil: Die neuen Vizepräsidenten stellen sich vor. Ein Kandidat steckt voller Tatendrang: Er will die kleinen Fachbereiche erhalten – denn das seien die „Keimzellen des Querdenkens“, außerdem solle die Uni keine Examensfabrik werden, die Leute sollten sich wohl fühlen an der Uni. Ein Professor meldet sich zu Wort und stellt die ernüchternde, ja niederschmetternde Frage: „Das sind ja schöne Ideen, aber wie bitte wollen Sie das finanzieren?“

Ernüchternd auch das Bild bei der Mahnwache am Roten Rathaus. Schülerin Anke und die Geschichtsstudentin Christine haben vor den Transparenten ihre Isomatte ausgerollt. „Immerhin haben wir es über drei Monate geschafft, die Mahnwache ständig zu besetzen – auch nachts“, betont Anke, eine Schülerin der Sophie- Charlotte-Schule, die täglich wacht. Sie bedauert, daß sie nicht mehr direkt vor dem Rathaus sitzen: „Auf der anderen Straßenseite hier beachtet uns ja keiner.“ Christine vertritt die Freie Universität. Sie erzählt, daß in Rost- und Silberlaube im Moment von Proteststimmung nichts mehr zu spüren sei: „Die sind im Urlaub oder büffeln.“ Die Erstsemesterin findet die Uni nach den Erfahrungen „frustrierend“. Sie will das Studieren vielleicht ganz sein lassen.

Die Endsemesterflaute registrieren zwar auch die Protest-Aktivisten. Dennoch haben sie die Hoffnung, daß die Proteste noch ins nächste Wintersemester getragen werden können. Durch die Aktionen sei die Solidarität innerhalb einer vergleichsweise großen Gruppe von Studierenden gewachsen, meint Sammi, der zum HU- ReferentInnenRat gehört.

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