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Tagesmutter statt Videospiel

■ Eine mutige, energische und koordinierte Arbeitsmarktpolitik könnte in Hamburg Tausende neuer Jobs schaffen

Auf deutlich über 100.000 Hamburger Arbeitslose dürfte die offizielle Statistik im kommenden Winter emporschnellen – egal, wer die Wahl gewinnt. Die herkömmliche Wirtschaftspolitik, ob sie nun auf Ankurbelung durch Wirtschaftsförderung, schlanken Staat und Steuersenkung setzt oder auf staatliche Zusatzverschuldung und öffentliche Beschäftigungsprogramme, ist nicht geeignet, diese Arbeits-marktkrise wirksam zu bekämpfen. Auch Arbeitsumverteilung, bei ÖTV, GAL und Linkssozialdemokraten immer noch hoch im Kurs, kann allenfalls den Anstieg der Arbeitslosigkeit bremsen.

Ist Massenarbeitslosigkeit in der reichsten Region Europas ein unabwendbares Schicksal? Viele Experten sehen das inzwischen anders. In den vergangenen Jahren sind weltweit eine Fülle neuer Konzepte entwickelt und ausprobiert worden, die auf eine aktive Beschäftigungspolitik vor Ort setzen und sich über die althergebrachte Trennung von Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialpolitik hinwegsetzen.

Grundidee ist die Stimulierung lokaler Wirtschaftskreisläufe mit Hilfe von privatem Kapital, verbesserten staatlichen Rahmenbedingungen und kreativen öffentlichen Unternehmen. Eine solche Politik, die übrigens ohne zusätzliche Verschuldung auskommen kann, geht davon aus, daß die Nachfrage nach arbeitsplatzintensiven Gütern (Tischler statt Ikea, Tagesmutter statt Videospiel, Ökolandbau statt Agrarindustrie, Weiterbildung statt Elbtunnelröhre, Tante-Emma-Laden statt Toom-Markt) sehr wohl stimuliert werden kann.

Zum Beispiel so:

–  Haspa und Landesbank finanzieren arbeitsplatzintensive Projekte in Problemstadtteilen mit Risiko-Kapital;

–  die Saga stellt Existenzgründern zu Dumping-Mietpreisen für eine Anlaufzeit Gewerbe- und Einzelhandelsräume zur Verfügung;

–  Unternehmen, die von Bebauungsplanänderungen profitieren, erhalten Auflagen, einen Teil der Gewinne in neue Arbeitsplätze zu investieren;

–  in öffentlichen Unternehmen und im öffentlichen Dienst werden nach VW-Vorbild Arbeitszeitumverteilungsmodelle gefahren;

–  Arbeitsamt, Sozial- und Wirtschaftsbehörde entwickeln gemeinsam einen öffentlich-privaten Beschäftigungssektor, eine teilsubventionierte Dienstleistungsbranche, aus der sich erfolgreiche Unternehmen in den ersten Arbeitsmarkt freischwimmen.

Solche Ansätze erfordern eine Politik, die nicht verwaltet, sondern initiiert und anregt. Diese ist um so erfolgreicher, je weniger sie sich in isolierten Einzelmaßnahmen erschöpft. Eine koordinierte Beschäftigungsoffensive, kombiniert vielleicht mit lokalen Bündnissen für Beschäftigung und Ausbildung, könnte Hamburg zum Modell einer sozialen und ökologischen Modernisierung des Standorts Deutschland werden lassen. Die Chancen sind freilich gering: Selbst bei Grünen, Gewerkschaften oder linken Sozis wird derzeit nicht mehr über die Ausweitung der Beschäftigung nachgedacht. Florian Marten

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