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I N T E R V I E W Bio–Bauer Kreuzeder:“Ich kann mich doch nicht selbst entsorgen“

■ Matthias Kreuzeder (37), Landwirt im oberbayerischen Sprengel Eham bei Freilassing zu den Konsequenzen für die Verbraucher und den Perspektiven der Bauern nach Tschernobyl

taz: Können Sie Ihren Hof kurz vorstellen. Hias Kreuzeder: Wir haben 23 Hektar Nutzfläche und zehn Hektar Wald. Der Hof wird seit sechs Jahren organisch–biologisch bewirtschaftet, im Durchschnitt stehen 20 Kühe im Stall und 20 Stück Nachzucht. Wir produzieren Getreide, Kartoffeln, Gemüse in biologischer Fruchtfolge und verkaufen auch Fleisch. Und wie vermarkten Sie Ihre Produkte? Vor dem Tschernobyl–Unfall zu 100 Prozent direkt ab Hof, bis auf einen Rest an Milch, der zur Molkerei geht. Nach Tschernobyl war der Verkauf in den drei Monaten Mai, Juni, Juli gleich null. Wir haben die Milch weggeschüttet und haben selbst Dosenmilch getrunken. Schon aus Gewissensgründen konnte ich nichts vermarkten. Wie hoch lagen die Werte bei Ihnen? Unser Landkreis hatte die höchsten Werte in ganz Westeuropa. Die Bodenbelastung ging bei Jod bis zu 50.000 Becquerel hoch. Die Milch war nicht genießbar und auch die Schweine und Rinder, die damals Grünfutter erhalten haben, waren nicht zu empfehlen. Wir machen natürlich außerdem Butter und Käse, und das ist ebenfalls flach gefallen. Und ab wann haben Sie wieder verkauft? Wir haben vor etwa fünf Wochen wieder angefangen. Die Belastung bei Milch liegt jetzt nur noch zwischen 30 und 150 Becquerel. Und wie reagieren inzwischen die Verbraucher? Schaffleisch ist bei uns nach wie vor nicht zu verkaufen, ebensowenig Wild, auch der Milchverkauf ist noch nicht normal. Wir verkaufen jetzt etwa 60 % unserer sonst üblichen Menge an Milch. Haben Sie schon einmal durchgerechnet, wie hoch Ihre finanziellen Verluste durch die Verkaufseinbußen sein werden? Das ist auf jeden Fall eine fünfstellige Summe. Und was haben Sie als Entschädigung erhalten? Bisher 137 Mark. Zwei Anträge laufen noch, das gibt vielleicht nochmal ein paar hundert Mark. Im Winter, wenn wir das belastete Rauhfutter vom ersten Schnitt verfüttern müssen, werden wir weitere Einbußen haben. Für mich ist die Frage, was ich mit meinem Rauhfutter mache, mit dem Heu. Wir haben beim Heu einen Wert zwischen 4.300 und 7.700 Becquerel pro Kilo von verschiedenen Instituten gemessen. Das betrifft den ersten Schnitt. Jetzt können Sie sich mal ausrechnen wie mein Heuboden strahlt. Auf dem Nachbarhof, zwei bis drei Kilometer von hier, wurde vom Amt für Landwirtschaft ein Wert von 12.107 Becquerel für den ersten Schnitt gemessen und in der Silage 11.222 Becquerel Cäsium 137. Und mit Sicherheit wird das im Herbst und Winter verfüttert, weil der Staat nicht bereit ist, zu entsorgen und zu entschädigen. Was können Sie als aufgeklärter Bauer jetzt unternehmen, wenn Sie verstrahltes Heu und Silage nicht verfüttern wollen? Ich kann überhaupt nichts machen. Ich bin nicht in der Lage, mir Austauschfutter zu besorgen, schon rein finanziell geht das nicht. Und ich kann mich auch nicht selbst entsorgen. Wo soll ich denn hin mit dem Heu? Ihnen bleibt also nichts anderes übrig als es zu verfüttern? Genau. Ich bin zwar immer noch im Schriftverkehr mit dem Bonner Landwirtschaftsministerium, doch die haben mir bisher lediglich bestätigt, daß mein Heu nicht verkehrsfähig ist. Ich werde mir jetzt zwei Atemschutzgeräte besorgen, mit denen ich dann täglich meine zwei Stunden im Heuboden arbeiten werde. Die Filter dieser Schutzgeräte werde ich dann untersuchen lassen und die Werte veröffentlichen. Das Schlimmste an der Sache ist, daß nicht nur die Verbraucher, sondern vor allem die Bauernfamilien die Geschädigten sind in ihrer Gesundheit. Wenn ich mir vorstelle, daß mein Heulager zwischen fünf und zehn Millionen Becquerel hat. Nach Tschernobyl ging eine Meldung durch die Zeitungen, daß Luftfilter an Gebäuden nur mit einem Schutzanzug ausgewechselt werden sollen. Aber wenn ich jeden Tag zwei bis drei Stunden im Heustock arbeiten muß, dann bin ich dem ungeschützt ausgesetzt und muß davon ausgehen, daß ich über kurz oder lang geschädigt werde. Beim Heu ist einfach die Staubentwicklung groß. Und dann ist der Heuboden ja auch ein beliebter Spielplatz für die Kinder. Es ist inzwischen festgestellt worden, daß speziell Ruthenium, und das ist nach wie vor vorhanden, die Lunge direkt schädigt. Das ist ein Verbrechen, was da mit den Bauernfamilien gemacht wird. Man müßte doch zumindest die Hauptbelastungsgebiete - und da gehört unser Berchtesgadener Landkreis dazu - entsorgen und entschädigen. Was würde das kosten, wenn Sie das verstrahlte Futter durch gekauftes ersetzen ? Jetzt können Sie sich das mal ausrechnen. Allein in unserem Landkreis sind 2000 Bauern betroffen. Da wissen Sie auch, warum der Herr Stoltenberg sagt, das ist alles völlig ungefährlich. Ich bräuchte etwa 100 Tonnen, und die Tonne kostet 400 Mark. Dazu muß man noch sagen, daß bei uns auch der zweite Schnitt - nach offiziellen Messungen - 970 Becquerel Cäsium 137 hat, also auch nicht verkehrsfähig ist. Nach dem Atomgesetz darf das verstrahlte Heu nicht in den Verkehr gebracht werden. Es gibt einen bayerischen Richter, an den ich mich mit einigen Kollegen mit einer Selbstanzeige wenden werde. Er hat die Staatsanwaltschaften in einem Rundschreiben zum Einschreiten aufgefordert, wenn stark belastete Nahrungs– und Futtermittel in den Verkehr gebracht werden. Das ist unsere Hoffnung. Wie ist die Stimmung in den anderen Bauernfamilien. Läuten da alle Alarmglocken? Ganz im Gegenteil. Die Kollegen, die ebenfalls biologisch produzieren, sind zwar in der Regel aufgeklärt, aber von den konventionellen Betrieben haben 80 - 90 Prozent der Bauern überhaupt nicht gemerkt, was sich da abspielt. Die haben auch keinerlei Bezug zu der Gefahr, die im Winter auf sie zukommt. Die Messungen interessieren sie nicht. Und es geht sogar soweit, daß sich ein Anrufer nach dem Tschernobyl–Unfall bei mir beschwert hat, daß die Grünen schuld sind, daß einzelne Bauern ihre Milch nicht mehr abliefern dürfen. Was können Sie bei der Fütterung tun, um die radioaktive Belastung zu reduzieren? Den Bauern werden alle mögliche Mittel und Mineralien empfohlen, die sie den Kühen geben sollen, damit das Cäsium schon im Magen abgebunden und später ausgeschieden wird. Da gibt es verschiedene Vorschläge. Aber wir haben erstmal genug von allem. Das Tschernobyl hat uns monatelang soviel Kraft gekostet, wir haben Tag und Nacht recherchiert und telephoniert. Jetzt bin ich statt, ich will einfach nicht mehr, und ich glaube einfach nicht, daß man die radioaktive Belastung irgendwie mildern kann. Das geht nicht. Ab Oktober wird die Milch wieder stärker belastet sein, und man wird wieder aus Nordbayern die weniger belastete Milch zu uns fahren, das Ganze vermischen, und wir werden wieder „Bärenmarke“ trinken.

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