Zwischenlager im Heuschober

■ Stark verseuchtes Futter ab Oktober im Stall / Milch und Fleisch stärker belastet / Von Manfred Kriener

Auf die Verbraucher kommt im Spätherbst und Winter ein neuer Schub strahlenbelasteter Lebensmittel zu. Vor allem Milchprodukte und Fleisch werden - regional unterschiedlich - zum Teil erheblich kontaminiert sein. Mit der im Oktober einsetzenden Verfütterung von Silage und gelagertem Heu, das im Mai und Juni nach dem GAU in Tschernobyl geerntet worden ist, muß mit einem Anstieg der Radionuklid–Konzentrationen in der Milch „auf mehrere Hundert becquerel“ (1 bq = 1 Atomzerfall/Sekunde) gerechnet werden. Das Heidelberger Institut für Energie– und Umweltforschung (IFEU) hat gestern in Stuttgart eine Untersuchung zur Winterfütterung vorgelegt und auf die Konsequenzen für Bauern und Verbraucher hingewiesen. Die Grünen in Baden–Württemberg, Auftraggeber des IFEU–Berichts, fordern, die am stärksten belasteten Gebiete im Winter für die Frischmilchversorgung auszuklammern. Hauptbetroffene des Tschernobyl–Fallouts in der BRD waren die Regionen Südbayern und der Südosten Baden–Württembergs, wo mit Werten bis zu 36.000 bq/qm Cäsium 137 die höchste Bodenbelastung ermittelt wurden. Entsprechend sind hier auch Gras und Heu am stärksten verseucht. Das Heu wiederum enthält gegenüber dem Gras noch höhere Konzentrationen an Radionukliden, weil sich durch das Trocknen die Masse auf weniger als ein Drittel der Grasmenge reduziert, während die Menge der Radionuklide gleichbleibt. Die IFEU–Wissenschafter haben in ihrer Hochrechnung die Gesamtbelastung durch die Winterfütterung anhand der vorliegenden Meßdaten abgeschätzt, als zweiten Schritt die daraus resultierende Verseuchung von Milch und Fleisch ermittelt und schließlich die „Kollektivdosis“ für die bundesdeutschen Verbraucher ermittelt. Fazit: „Durch den Verzehr der insgesamt in Baden– Württemberg und Bayern produzierten Fleisch– und Milchprodukte entsteht eine Kollektivdosis von 2,6 Mio Personen–Rem“ ( zum Vergleich: 30 millirem ist in der BRD die erlaubte Jahreshöchstdosis für Anwohner kerntechnischer Anlagen) Rechnerisch wären damit laut IFEU „langfristig ca. 890 - 4260 zusätzliche Krebsfälle zu erwarten“. Als besonders gravierender Faktor wird vom IFEU herausgestellt, daß gerade die am stärksten belasteten Regionen auch zu den wichtigsten Milcherzeugnissen der Bundesrepublik gehören. 3,2 Millionen Tonnen Milch werden hier im Jahr produziert. Eine Verdünnung des verseuchten Heus durch Untermischen von weniger kontaminiertem Material, wie es immer wieder vorgeschlagen wird, lehnen die Heidelberger Forscher ab. Das würde zwar die Konzentration verringern, aber den Zeitraum der Fütterung verlängern. Die Grünen Baden–Württembergs verlangen in einem Maßnahmenkatalog, daß die stark verseuchten Futtermittel des ersten Schnitts in erster Linie an Jungvieh, das nicht zur Schlachtung kommt, verfüttert wird. Bei einer Verfütterung an Milchvieh solle dies in konzentrierter Form unter ständiger Kontrolle geschehen. Die Milch müsse dann schwerpunktmäßig zu Butter weiterverarbeitet werden. Dadurch ließe sich die radioaktive Belastung für die Bevölkerung „erheblich verringern“, die Cäsium–Konzentration in der Butter würde nur etwa halb so groß sein wie in der Rohmilch“, der Rest bliebe in der Molke zurück. Für die Fleischerzeugung empfehlen die Grünen, daß die Fütterung von Heu und Silage aus dem ersten Schnitt mindestens drei Monate vor der Schlachtung ausgesetzt wird. Die vom IFEU erhobene Forderung, nach Möglichkeit überhaupt kein belastetes Heu an Milchkühe und Mastvieh zu verfüttern, hat kaum Chancen auf eine Realisierung. Fünf Millionen Tonnen hoch kontaminiertes Heu stapeln sich nach ihren Berechnungen in den Scheunen der Hauptbelastungsgebiete. Einen vollständigen Austausch wird das Bonner Umweltministerium weder politisch wollen, noch bezahlen können. Minister Wallmann hat inzwischen ebenfalls - gemeinsam mit dem Land Bayern - beim Münchner Institut für Strahlenhygiene eine Untersuchung zur Heubelastung und Winterfütterung in Auftrag gegeben. Nach Vorlage dieses Berichts soll über entsprechende Maßnahmen entschieden werden. Ein Ersetzen des Heus durch andere Futtermittel kommt übrigens nicht in Betracht. Der sensible Kuhmagen ist auf die Rohfasern aus Heu oder Silage angewiesen. Die Durchschnittkuh „Hertha“ vertilgt täglich zehn Kilo Heu. Die vollständige IFEU–Studie Nr. 45 kann durch Einsendung von 5 DM bezogen werden bei IFEU–Heidelberg, Im Sand 5, 6900 Heidelberg