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I N T E R V I E W Entscheidung zwischen Leben und Lebensstandard

■ Maria Mies ist Professorin an einer Kölner Fachhochschule und seit Jahren engagierte Feministin

taz: Du behauptest, wir müssen uns zwischen Leben oder Lebensstandard entscheiden. Wie kommst du darauf? Maria Mies: Diese Äußerung habe ich im Zusammenhang mit der Tschernobyl–Diskussion gemacht. Mir ist deutlich geworden, daß unser Modell vom „guten Leben“ identisch ist mit ständig steigendem Lebensstandard. Jetzt stellen wir fest, daß beides zusammen nicht geht, daß die Materie „zurückschlägt“. Die Natur, die wir lange wie einen Feind behandelt haben, ist feindlich geworden. Die Welt ist endlich, deshalb gibt es den ständig steigenden Lebensstandard nur auf Kosten des Lebens. Wie siehst du vor diesem Hintergrund die grüne Ausstiegsdiskussion? Die Grünen behaupten auch, Atomenergie sei vollkommen durch andere Energieträger zu ersetzen und zusammen mit energiesparenden Technologien könne alles weitergehen wie bisher. Dieses Versprechen halte ich für Betrug. Technisch ist zwar einiges möglich, aber nur auf Kosten von etwas anderem. Nehmen wir einmal als Beispiel die Sonnenenergie, die immer als „sanfte Energie“ gepriesen wird. In den Regionen, in denen wir leben, gibt es nicht viel Sonne. Wenn wir diese Energiequelle nutzen wollen, müssen wir sie importieren, Sonnenplantagen errichten, z.B. in der Sahara oder in Saudi–Arabien. Solche Experimente werden heute von der Industrie schon gemacht. Außerdem müßten sehr aufwendige Umwandlungs– und Transportsysteme errichtet werden. Sonnenenergie ist Großtechnologie, die wiederum eine Kolonisierung anderer Völker nach sich ziehen würde. Die Grünen setzen auch stark auf Dezentralisierung der Energieversorgung. Darüber sei der Energiekonsum zu reduzieren. Wenn sie sagen, wir brauchen nicht so viel, bin ich einverstanden. Ich glaube auch, die Bevölkerung ist im Grunde bereit, den Ener giekonsum zu reduzieren. Aber die Politiker fürchten, Stimmen zu verlieren, wenn sie von Einschränkung des Konsums sprechen. Wie könnte ein erster Schritt zur Reduzierung unseres Lebensstandards aussehen? Wir würden Waren verlieren, dieser Verlust wäre aber gleichzeitig ein Gewinn. Wenn wir z.B. nur noch die Hälfte oder noch weniger Autos hätten, hätten wir bessere Luft, mehr Ruhe, weniger Unfälle, mehr Raum für Begegnungen, zu Leben. Hast du ein Programm zur Reduzierung des Lebensstandards entworfen, das Schritt für Schritt nachvollziehbar wäre? Nein, ich habe kein Rezept dafür. Was ich aber für wichtig halte, ist die erneute Verkoppelung von Produktion und Konsum. Das müßte konkret ausprobiert werden. Ich kann mir z.B. vorstellen, daß die kleinen Bauern, die jetzt langsam ruiniert werden, in einem Konsumenten–Produzenten–Zusammenhang arbeiten: Menschen aus der Stadt arbeiten auf dem Hof und bekommen dafür Produkte, die sie mithergestellt haben. Vorstellen kann ich mir auch eine „Konsumbefreiungsbewegung“, die sich damit beschäftigt, welche Produkte überflüssig sind, welche absolut sexistisch sind oder welche die Ausbeutung der „Dritten Welt“ verschärfen. Kollektive von Frauen könnten öffentlich erklären, daß sie diese Produkte nicht mehr kaufen. Was bedeutet dein öko–feministischer Ansatz für grüne Frauenpolitik? Grüne Frauenpolitik ist zur Zeit eine ad– hoc–Politik, die nur vor Wahlen die Frauenbewegung fragt: Was wollt ihr? Dann versprechen sie z.B. ein Nachttaxi und hoffen, damit Stimmen zu gewinnen. Aber das Nachttaxi ist unökologisch, kurzfristig, individualistisch und löst das Problem der Gewalt nicht. Im Rahmen von Parlamentspolitik ist die Lösung solcher Fragen nicht möglich, sondern nur im Rahmen von sozialen Bewegungen. Und da vermisse ich die Frauen der Grünen. Du kritisierst die zentrale Forderung der Frauenbewegung nach dem „Selbstbestimmungsrecht“. Warum? Diese Forderung ist ein Grundpfeiler der Frauenbewegung, basiert aber auf dem Begriff des bürgerlichen Individuums, das über sich verfügt. Frauen sind bislang keine bürgerlichen Subjekte, über Frauen haben immer andere verfügt. Gegenüber diesen anderen haben wir diesen Anspruch reklamiert - gegenüber den Männern, dem Staat, der Kirche. Jetzt zeichnet sich das Dilemma ab, daß wir den Emanzipationsbegriff, der auf Eigentum, über das frei verfügt wird, basiert, auf uns anwenden. Damit installieren wir ein Verfügungsrecht des Kopfes über den Körper. Wir leben heute in einer Gesellschaft, wo über Rechte auch Lebensmöglichkeiten verteilt werden. Das Selbstbestimmungsrecht halte ich für ein Abwehrrecht. Erst wenn dieser Schutzraum da ist, kann eine Frau darüber nachdenken, was z.B. eine Abtreibung für sie bedeutet. Als Taktik mag dieser Standpunkt richtig sein, daß wir in einer bürgerlichen Gesellschaft bürgerliche Rechte brauchen, um gegen unsere Feinde zu kämpfen. Aber als Strategie halte ich es für fatal, z.B. das „Recht“ auf Abtreibung zu fordern. Es ist an der Zeit, darüber nachzudenken, ob unser Emanzipationsbegriff ausreicht für das, was wir wollen. Wir besitzen unseren Körper nicht, wir kooperieren mit unserem Körper, wir sind unser Körper. In der Frauenbewegung setzt sich diese Haltung zunehmend durch - da paßt „Selbstbestimmungsrecht“ nicht mehr. „Kooperation“ wäre möglicherweise ein passender Begriff. Er beinhaltet auch, daß es nicht nur eine individuelle Angelegenheit ist. Wie ich mich fühle, hängt auch von meiner Umwelt und den anderen Menschen ab.

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