: Am Leistungsbegriff festgeklebt...
■ Bundeskongreß der freien Alternativschulen diskutiert Alternativen zum traditionellen Schulsystem / Konkurrenzkampf der Parteien um das leistungsfähige Schulsystem konsolidiert den Status Quo / Alternativschulen - Bildungseinrichtung für alle Schichten ? / Summerhill bleibt Utopie / Die Crux mit dem LeistungsbegriffD=35 e
Aus Bonn Tina Stadlmayer
„Welche Bildungspolitik für welche Zukunft?“ lautet das Motto unter dem diskutiert werden soll. Der Bundeskongreß der freien Alternativschulen hat zur Podiumsdiskussion geladen. Im Publikum: Jede Menge Soz. Päds, engagierte Lehrerinnen und Lehrer, Mütter und Väter - die bekannte 68er Mischung. Auf dem Podium: Brigitte Speth, SPD–Landtagsabgeordnete in NRW; Horst Kulay, Grüner aus Hessen; Horst Strebe, FDPler aus Hannover. Alle drei „Bildungsspezialisten“. Die Moderatorin Jutta Wilhelmi (Zeit–Autorin) beginnt mit einem betulichen Statement: „Wie Sie alle wissen, gibt es seit den siebziger Jahren keine gezielte Bildungspolitik mehr. Es gibt elf Länderpolitiken, die im Zeichen von High–Tech, Elitebildung und traditionellem Schulsystem stehen.“ Während sie die bekannte Misere des Bildungswesens ausmalt, toben im Saal einige freie Alternativschüler herum. Frau Wilhelmi verliert den roten Faden und sendet strafende Blicke nach unten. Summerhill - in der BRD unvorstellbar Horst Kulay nützt die Unterbrechung des Redeschwalls und erzählt, daß er neulich in Summerhill war: „Nach Tschernobyl ha ben die Kinder dort von sich aus gemessen, wieviele Becquerel der Strauch vor dem nahegelegenen Kernkraftwerk hat. Das Resultat war, daß die Betreiber den Strauch abhackten.“ SPD–Frau Brigitte Speth zum Stichwort „Summerhill“: „Auch ich habe die Idee nie aus meinem Kopf verloren. In der Bundesrepublik ist eine solche Schule jedoch unvorstellbar. „Aber“, so Horst Strebe von der FDP, „ wir können die Idee nach und nach in unser Schulsystem einfließen lassen. Spätestens jetzt wird deutlich, daß das Podium völlig falsch besetzt ist: Alle drei Parteienvertreter sprechen sich für freie Schulen und für Gesamtschulen aus und distanzieren sich lautstark von ihren jeweiligen Parteien. Brigitte Speth: „Die Gesamtschulentwicklung ist in Nordrhein–Westfalen mit äußerst großer Freiheit begonnen worden. Da hatten die Schulen keine Lehrpläne sondern sollten sie sich selbst erarbeiten; da gab es keine Noten, - sitzenbleiben kann man übrigens an den Schulen auch heute noch nicht. Dann kam die Restauration, der Druck von außen. Auch Leute aus meiner Partei haben gesagt: mit welchen Leistungen werden diese Kinder dann ins Leben geschickt ? Die wissenschaftliche Begleitung hat nun Leistungsvergleiche gemacht, - da muß man sich natürlich fragen, woran messe ich Leistung ? Bei uns wurde die Leistung wieder am traditionellen Schulwesen gemessen. Die SPD hat das unterstützt, weil sie findet, daß Leistung in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle spielt. Ich finde diesen Leistungsbegriff völlig falsch, aber das ist eine andere Frage. „Warum sind Sie dann in dieser Partei, die die Idee der Gesamtschulen untergräbt und den freien Schulen die Zulassung verweigert ?“ ruft eine Zuhörerin dazwischen. Brigitte Speth: „Weil ich durch und durch Sozialdemokratin bin und weil ich weiß, daß eine Partei, auch wenn sie an der Regierung ist, die Bildungspolitik nicht alleine bestimmen kann. Da gibt es mächtige Gruppen, die mitreden. Stellen Sie sich vor, wir würden die Noten wieder abschaffen. Meinen Sie, die Eltern würden das mittragen ?“ Freie Schulen - für wen ? In der zweiten Runde geht es ums Thema freie Schulen. Brigitte Speth erklärt: „Sozialdemokraten haben was gegen Privatschulen, dabei unterscheiden sie häufig nicht zwischen Eliteschulen und Alternativschulen. Freie Schulen sind für mich nur dann tragbar, wenn sie für alle Schichten zugänglich sind. Horst Strebe von der FDP distanziert sich erstmal von seinem Parteivorsitzenden: „Ich bin nicht Genscher, - ich habe nichts gegen freie Schulen. Unser Bildungssystem kann gar nicht vielfältig genug sein. Der Begriff Elite hat nicht nur eine Genschersche Dimension, sondern man kann darunter auch Alternativschulen verstehen.“ (Empörung im Publikum). Dazu Horst Kulay von den Grünen: „Die FDP erliegt da einer Illusion. Man muß sich entscheiden, ob man den normgerechten Arbeitnehmer erziehen möchte oder einen selbständig denkenden Menschen. Gerade in den angepaßten Privatschulen wird das, was der Staat verlangt, sogar noch überhöht. Grundsätzlich sind wir in dieser Frage liberal, besser gesagt libertär und stehen deshalb auch mit der SPD in Konflikt. Wie die FDP wollen wir den staatlichen Einfluß auf die Schulen zurückdrängen. An dieser Stelle setzt Horst Kulay an, die Utopie von der Entschulung der Gesellschaft auszumalen: „Unser Fernziel ist, daß Schule als gesonderte Institution überflüssig wird. Die Heranwachsenden sollen in den Lebens– und Arbeitsprozeß der Gesellschaft integriert werden. Dann müssen Kinder nicht mehr dreizehn Jahre lang von Personen behandelt werden, die nicht wissen wie es im normalen Leben zugeht. Wir müssen uns in Richtung auf dieses Ziel in Bewegung setzen.“ Am Ende seines Statements bricht jedoch wieder der Realo durch: „Solange wir jedoch unsere Arbeitskraft verkaufen müssen, können wir Noten und Abschlüsse nicht abschaffen.“ Zum Schluß der Veranstaltung tritt ein adretter junger Mann mit Fliege ans Mikrofon und verkündet in astreinem münchnerisch: „Wir von der CSU...“ Im Saal wird es unruhig. Ein alternativer Durchblicker schlägt sich vor Vergnügen auf die Schenkel. Nur die Moderatorin hat immer noch nichts gecheckt und meint todernst: „Wir wollen hier doch auch mal die andere Seite zu Wort kommen lassen.“ Ein Zwölfjähriger mit New–Wave Frisur, der neben der Türe auf seine „ALten“ wartet meint: „Oh no, sind die kindisch!“
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