: I N T E R V I E W Staatsfeind Nummer zwei
■ Er arbeitet in der Spitze der Jazz–Sektion, hat wegen kulturpolitischer Tätigkeiten schon im Knast gesessen und möchte deshalb nicht mit Namen genannt werden. „Weil wir in Kafkaschen Zeiten leben, nennen Sie mich einfach Pan K.“
taz: Wer die Verhältnisse in der CSSR nicht kennt, weiß aus unseren Medien nur von der Charta 77. Worin liegen die Unterschiede zwischen Charta 77 und der Jazz–Sektion, wo gibt es Gemeinsamkeiten? Pan K.: Beides sind Bürgerinitiativen, in denen ein Teil der Tschechen und Slowaken seine Meinung legal äußert. Auch die Charta 77 ist eine juristisch legale Organisation, die aber von den Behörden schon bei der Gründung in die Illegalität getrieben wurde. Die Jazz–Sektion dagegen hat in diesem Regime 15 Jahre lang unbehelligt gearbeitet. Ich weiß nicht, wem die Sektion dann zu unbequem wurde, ob den Kulturbehörden oder der politischen Führung, aber seit zwei Jahren werden auch wir von den Behörden als illegal bezeichnet und angegriffen. Die Jazz–Sektion hat sich ja nicht nur um Jazz gekümmert, auch viel um die künstlerische Avantgarde. Kann es sein, daß Sie eine für das Regime zu große Anziehungskraft auf Jugendliche haben? Wir haben in der letzten Zeit viele Jugendliche animiert. Im Gegensatz zur Charta, die von den Intelektuellen von 1968 und aus der demokratischen Phase von 1945–48 getragen wird, sind wir eine Organisation für junge Leute. Nicht nur, aber besonders für Jugendliche. Der Gegensatz ist auch: die Charta ist eine politische Organisation, wir eine kulturelle. Wir wollen nicht politisch sein, auch wenn uns der Staat politisch sieht. Glauben Sie wirklich, daß Jazz nicht politisch ist, daß Kunst nicht politisch ist? Gute Frage, ja und nein. Alles ist politisch, auch das Schweigen, wenn Sie die Stille politisch betrachten. Wichtig ist wohl, mit welchem Ziel man handelt, für die Politik oder für die Kunst. Wir machen zunächst Kunst, die freilich politische, psychologische und soziologische Begleiterscheinungen zeigt. Und wenn es nötig ist, dann kümmern wir uns aus der Kunst heraus auch um diese Bereiche. Ist die Sektion mit dem zunehmenden Druck und den Verhaftungen politischer geworden? Das weiß ich nicht, das ist glaube ich, auch nicht die Frage. Wir sind am Anfang. Und die Auseinandersetzung geht jetzt erst einmal darum, unsere Legalität zu erhalten oder - von der anderen Seite - uns zu nehmen. Wir schöpfen also zunächst die juristischen Mittel aus, unsere Arbeit weiterführen zu dürfen, ganz offiziell. Aber die Macht ist auf Seiten des Staates, und wenn der die Sektion in die Illegalität treiben will, findet er einen Weg. Klar, das ist die Gefahr. Was wird dann passieren? Ich weiß nicht. Was denken Sie? Ich denke nicht darüber nach. Und wann erwarten Sie neue Aktionen von der Regierung? Bald. Es ist nur nicht klar, wie die Regierung reagieren wird. Sie hat wahrscheinlich selbst noch keine Vorstellung, weil uns keine Illegalität nachzuweisen ist. Würde die Sektion denn eine Reaktion der Regierung provozieren? Sie stellen die selben Fragen wie der Geheimdienst. Sorry, aber ich werde denen nicht unsere Strategie erklären, auch nicht vom Ausland aus. Wir werden reagieren, nachdem wir uns nach der unerwarteten Verhaftung des Vorstands stabilisert haben. Wir sind vorsichtiger geworden. Es ist eine Reaktion in Arbeit, mit der wir gleichzeitig Freunde und Mitglieder mobilisieren. Wie weit können Sie da gehen, wie groß ist der Rückhalt für die Jazz–Sektion in der Bevölkerung? Es gibt eine Äußerung von der Regierung: Staatsfeind Nummer eins ist die Religion, Nummer zwei die Jazz–Sektion, und erst dann kommt die Charta 77. Das spricht für sich. Wenn es zur Entscheidung kommt, Kunst oder Legalität, was ziehen Sie vor? Diese Frage stellt sich nicht. Wir machen unsere Kunst, legal, es gibt nur diesen einen Weg. Was ist Ihnen denn wichtiger, Künstler zu sein oder legal? Oh, ich möchte doch Künstler genannt werden. Die Kunst kann man nicht stoppen. Man kann nur die Legalität aufhören lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen