Der Hausmüll dreht sich im Kreis

■ 5. Internationaler Recycling–Kongreß in Berlin / Die ökologische Profilierungssucht der Kommunalpolitiker wird für die Recycling–Industrie zur Goldgrube

Von Imma Harms

Das waren noch Zeiten, als „Recycling“ das Zauberwort der Alternativbewegung war, die sich, um den Worten auch Taten folgen zu lassen, mit dem Jutebeutel zum Wochenend–Einkauf aufmachte! Die Umwelt schonen - in Kreisläufen wirtschaften, das waren alternative Programmpunkte, an denen spätestens seit Ende der 70er Jahre kein Politiker mehr vorbei kam. Was ist eigentlich Abfall? fragte die Bewegung provozierend. In Industriekreisen spitzte man die Ohren: Ja, was ist eigentlich Abfall? Und siehe da, die Müllkippe erwies sich als Goldgrube. In der vergangenen Woche trafen sich die neuen Goldgräber zum 5. internationalen Recycling– Kongreß im Berliner Kongreßzentrum. Die Diskussion in den elf parallelen Sektionen verlief vor einem dramatischen Hintergrund. Nicht das neue Abfallgesetz ist gemeint, dessen pflaumenweiche Empfehlungen die Geschäfte der Müllhändler wohl kaum beeinflussen werden. Nein, der mühsam gesammelte und getrennte Müll, jetzt „Sekundär–Rohstoff“ genannt, ist nichts mehr wert! Allein im letzten Jahr sind die Preise für Lumpen und Metall um 25 bis 30 Prozent gefallen, für Altpapier gar um 50 bis 70 Prozent. Hintergrund ist der gefallene Ölpreis, die niedrigen Weltmarktpreise für Rohstoffe allgemein (,die auch durch den gefallenen Dollarkurs unterstützt werden), aber parado xerweise auch der große Erfolg des Recycling–Gedankens in der Bundesrepublik. Jede Gemeinde, die auf sich hält, ordert die hübschen grünen Behälter für Glas oder Papier, sammelt Batterien oder Blechdosen. Und jeder, der sich nicht als Umweltschwein fühlen will, trägt seine Glasflaschen und seine taz–Stapel zu den dafür vorgesehenen Containern. Endlich hat man ein gutes Gewissen! „Wir sammeln uns zu Tode und werden in Containern beerdigt“, stöhnt Jörg Sudan vom Bundesverband Papierrohstoffe. Die Sammelwut von Gemeinden und Verbänden müsse endlich auf ein vernünftiges Maß reduziert werden. Von den jährlich anfallenden acht Millionen Tonnen Altpappe und -papier werden zur Zeit etwa vier Millionen Tonnen wieder eingesammelt und das mit rapide steigender Tendenz. Die martbeherrschenden Altpapierfirmen nutzen die Gunst der Stunde und drücken den Aufkaufpreis nach Kräften. Tatsächlich besteht für die papierverarbeitende Industrie wenig Anreiz, den ohnehin nicht unbegrenzten Zusatz von Altpapier auszuweiten, denn auch der zweite wesentliche Papierrohstoff, Holz, ist immer billiger zu haben, seit das Waldsterben den Papierfabriken wachsende Mengen von Holzabfall ins Haus schwemmt. Wohin also mit den Zeitungs– und Verpackungsbergen? Eine Zeitlang versuchte man, das nicht abzusetzende Altpapier zum Selbstkostenpreis in die Nachbarländer abzuschieben. Doch Italien hat seine Grenzen für die Papierflut bereits per Gesetz dichtgemacht. Andere Verwendungsmöglichkeiten wie das Vergären zu Äthanol sind nach Einschätzung von Sudan zwar machbar, finden aber bisher keinen Absatzmarkt. Was bleibt, ist der Müllschlucker Dritte Welt: In diesem Sommer wurden Überseefrachter in verschiedenen Nordseehäfen mit 70.000 Altpapier beladen und nach Brasilien, Argentinien, Taiwan, Indien und den Phillipinen geschickt, berichtete der Papierexperte. Vorsorglich wurden die dort errichteten Papierfabriken für die Mitverwertung von Altpapier ausgelegt, das sie begreiflicherweise nicht aus dem landeseigenen Aufkommen decken können. Da die USA als Altpapier–Lieferant Nr. 1 ihren Export derzeit drosseln, können europäische Lieferanten einspringen und kommen dabei inclusive der Frachtgebühren auf ihre Kosten. Papier, das weder im Inland noch im Ausland in die Papierfabriken zurückwandert, wird (keineswegs umweltneutral) verbrannt. Politiker mit Unmut Die Politiker hörten auf dem Kongreß dieses Ergebnis ihrer Umwelt–Anstrengungen mit Unmut. „Wo bleibt denn da der ökologische Aspekt?“ fragte ein Kommunalpolitiker aus Dortmund den Referenten aus der Papierindustrie empört. „Nun haben wir die Verbraucher mühsam über Jahre zum getrennten Müllsammeln erzogen, wie sollen wir ih nen jetzt diese Wende erklären?“ Dann hätten sich die Politiker halt vorher Gedanken über die Absatzmärkte und die mögliche Verwertung machen müssen, reagieren die Papier–Vertreter. Das Problem trifft nicht die Industrie; die privaten Unternehmen haben sich längst aus der Sammelei zurückgezogen. Sie arbeiten auf Dienstleistungsbasis zu festen Tarifen für die Kommunen. Die Verträge grenzen an Bauernfängerei. Eine Recycling– Firma bietet der Gemeinde das Aufstellen von Behältern zum getrennten Müllsammeln an und berechnet dafür ihre Kosten, die natürlich höher liegen als die für die städtische Müllabfuhr gleicher Mengen. Die Erlöse für die Altrohstoffe werden der Kommune rückvergütet. Bei guten Preisen entstehen der Gemeinde so wenigstens keine zusätzlichen Kosten. Fallen die Preise für den getrennten Müll, und das ist nach den Vertragsabschlüssen jetzt überall der Fall, so wird das Recycling für die öffentliche Hand, damit für die privaten Haushalte selbst, zum empfindlichen Verlustgeschäft. Mit anderen Worten - auch wenn das die Recycling–Anhänger nicht gern hören werden - das getrennte Müllsammeln treibt die Müllabfuhrpreise in die Höhe, ohne gleichzeitig nennenswert etwas zur Umweltentlastung beizutragen. Eher im Gegenteil: Der Anteil der Einwegflaschen ist z.B. bemerkenswert gestiegen, seit der Glascontainer an der nächsten Ecke steht naja, das scheppert ja auch so schön. d.s/in. Die Einwegflasche verwandelt sich im öffentlichen Bewußtsein in eine „Recycling–Flasche“, wie der Kongreßvorsitzende Prof. Thome–Kozmiensky während der abschließenden Podiumsdiskussion so treffend bemerkte. Dabei ist der Rohstoff von Glas, nämlich Sand, alles andere als knapp. Abfallvermeidung, d.h. Benutzung von Pfandflaschen ist hier die einzig sinnvolle Alternative. Doch die Getränkeindustrie ist zu dieser Umstellung noch nicht zu bewegen, solange der Verbraucher noch nach den Einwegflaschen greift. Und der Gesetzgeber mag sie weder durch Auflagen noch durch eine Verpackungssteuer dazu zwingen. Die Vermeidung von Müll bedeute Nicht–Produktion und das sei derzeit anscheinend nicht bezahlbar, stellt Norbert Kopitziok vom Berliner Institut für ökologisches Recycling resigniert fest. Erst mal mehr produzieren Die Industrie hat am Recycling nur insofern ein Interesse, als damit eine Produktionsausweitung verbunden ist. Das machten die Vertreter der Aluminium–Industrie mit verblüffender Offenheit deutlich. Damit sich das Aluminium–Recycling so richtig lohne, führte Alexander Wirtz von den Alcan–Aluminium–Werken aus, müsse der Anteil der Aluminium– Getränkedosen von derzeit zwölf Prozent in der Bundesrepublik wesentlich ausgeweitet werden. In Italien habe man da beste Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Mailand und mit Coca–Cola. Dieses Argument rief neben dem Abfallvermeidungs–Befürworter Kopitziok auch die Weißblech– Vertreter auf den Plan. Das bedeute ja, die Gesamtproduktion des Strom–Fressers Aluminium zu erhöhen, nur um recyclen zu können, was ja ohnehin nur mit einem Teil geschehe. Zudem könnten in der Bundesrepublik aus Getränkedosen nicht wieder Getränkedosen hergestellt werden, weil das Aluminium für Lebensmittelverpackungen eine Reinheit von 99,7 Prozent haben müsse. In allen Bereichen, so das Fazit der Diskussionen um den Hausmüll, hat das Recycling auf die Dauer nur eine Chance, wenn der Abfall beim Wegwerfen akribisch sortiert wird. Es ergibt sich folgendes Zukunftsszenario: Der Verbraucher sortiert Kunststoff, Metall, Aluminium, Papier, Holz, Textilien, Batterien, Medikamente, Küchenabfälle, Glas. Das Glas hat er selbstverständlich vorher gereinigt, von Etikett und Verschluß befreit, wobei die Verschlüsse noch einmal in Aluminium und Metall zu unterscheiden sind (vielleicht mit Hilfe eines Magneten) und sortiert es dann noch einmal in Weiß–, Braun– und Grünglas. Die privaten Dienstleistungsunternehmen sichten das Material, verkaufen die gewinnträchtigen Teile, kippen bei zu niedrigen Altstoffpreisen die Reste wieder zusammen und fahren sie in die nächste Müllverbrennungsanlage. Die giftige Filterasche kommt dann in die DDR.